Internet & E-Mail am Arbeitsplatz, Teil II

Lesen Sie in unserer Fortsetzung über Abmahnungen und unsinnige Eskalationen beim Umgang mit Internetnutzung am Arbeitsplatz. Teil I finden Sie hier.

 

Abmahnung wegen unzulässiger Nutzung

Ein Urteil des LAG Rheinland-Pfalz (17.08.2012, 9 Sa 85/12) zeigt noch einmal die Brisanz des Urteils im Fall „Emmely“ (wir berichteten) in Bezug auf den Umgang mit älteren Abmahnungen auf. Im vom LAG zu entscheidenden Fall stützte der Arbeitgeber seine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung auf einen aktuellen Arbeitszeitverstoß (hierzu wurde zeitnah bereits zweimal abgemahnt) sowie auf die private Nutzung des Internets mit pornografischen Inhalten (hierzu erfolgte acht Jahre zuvor eine Abmahnung und vor drei Jahren eine erneute vollständige Untersagung der privaten Nutzung durch Aushang). Das LAG störte sich bei seiner abschlägigen Entscheidung jedoch nicht am Vorbringen der weit zurückliegenden privaten Internetnutzung ohne aktuellen Wiederholungsfall, sondern monierte den Umstand, dass dem Betriebsrat dieser Kündigungsgrund in der Anhörung nach §102 BetrVG vor allem nur pauschal und wie auch beim Arbeitszeitverstoß nur pauschal angegeben wurde.  

Auch hier bleibt festzustellen, dass nunmehr auch länger zurückliegendes und abgemahntes Fehlverhalten bei der Nutzung von Internet & Co. geeignet ist, aktuelle Kündigungsabsichten zu untermauern.

 

Irritieren könnte jetzt jedoch ein Urteil des LAG Köln (18.07.2012, 9 Sa 209/12): Beim Arbeitgeber ist eine Betriebsvereinbarung in Kraft, die zwar die gelegentliche private Nutzung firmeneigener Ressourcen wie Telefon, Internet und E-Mail erlaubt, dabei aber alle einschlägigen Inhalte, die auch potentiell rufschädigend für den Arbeitgeber sein können, strikt untersagt. Nun fanden aber Staatsanwaltschaft und Werkschutz auf dem PC des gekündigten Arbeitnehmers eine große Zahl an pornografischen Bildern sowie zwei 3- bzw. 2-stündige E-Mail-Wechsel sexuellen Inhalts mit zwei verschiedenen Frauen.

So weit, so eindeutig, könnte man meinen. Doch das LAG bestätigte die Sichtweise des Arbeitsgerichts Köln, welches nicht nur auf das Alter und die lange Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers abhob, sondern auch der Meinung war, dass die Arbeitsleistung nicht gelitten habe.  Im Rahmen derVerhältnismäßigkeitsprüfung wertete das LAG zugunsten des Arbeitnehmers, dass die Ereignisse bereits eineinhalb Jahre zurücklägen, eine Schädigung des Arbeitgebers in Bezug auf Finanzen, IT-System und Ruf nicht erkennbar sei und der Arbeitnehmer bei den jährlichen Bewertungen immer die Höchstpunktzahl erhalten habe. Eine Abmahnung sei demnach nicht entbehrlich gewesen.

Spötter könnten dies als ausgleichende Gerechtigkeit werten, denn wenn lang zurückliegende Abmahnungen zuungunsten des Arbeitnehmers verwendet werden können, warum sollte dann nicht auch lang andauerndes Wohlverhalten und verzögertes Handeln des Arbeitgebers zu seinen Gunsten gewertet werden können?

 

Fazit: Das Arbeitsgericht Bochum scheint auf den ersten Blick näher an derLebenswirklichkeit zu sein. Tatsächlich machen nur sehr wenige Nutzer bewusst abgestufte Unterscheidungen bezüglich des tatsächlich vorhandenen Grades der Privatheit bzw. Vertraulichkeit. Für viele und gerade jüngere Nutzer gibt es faktisch keinen Unterschied zwischen öffentlich und privat, dementsprechend gestalten sich Nutzungsverhalten und Inhalte. Hier erscheint es notwendig, Begriffsinhalte und auch Rechtsprechung an die neue Zeit anzupassen, denn sonst drohen massive Verständigungskonflikte zwischen den „Digital Natives“ und den „Web 1.0″ern. Dabei kann der auf den ersten Blick wohltuend klare Beschluss des LAG Hamm („Es gibt keinen irgendwie gearteten Freiraum, im Netz ehrkränkende Äußerungen über andere abgeben zu können. …“) nur bedingt der Orientierung dienen, denn es offenbart eine deutliche Unkenntnis des derzeitigen technischen Standes und zeigt damit das Feld auf, für das die Rechtsprechung eigentlich schon jetzt Antworten finden muss. Das umgangssprachlich als „Netz“ bezeichnete Internet hebt nämlich viele der klassischen Trennungen auf:

  • Der E-Mail-Verkehr verläuft weitgehend über das Internet. Soll hier das Telekommunikationsgeheimnis nicht mehr gelten, wenn eine E-Mail ehrkränkende Äußerungen enthält?
  • Die Internet-Telefonie (VoiP) greift immer mehr um sich. Soll hier das Telekommunikationsgeheimnis nicht mehr gelten, wenn ein Telefonat zwischen zwei Freunden über das Internet ehrkränkende Äußerungen enthält?
  • In vielen sozialen Netzwerken besteht die Möglichkeit, zwischen privater und (teil-)öffentlicher Kommunikation zu wählen.  Welche Regeln sollen z.B. für Private/Personal/Instant-Messages oder Chats gelten, die vom Facebook-Profil aus geführt werden?
  • Ist der Arbeitnehmer für eine potentielle Rufschädigung eher haftbar zu machen, wenn ein entsprechendes Posting nur für einen ganz engen Kreis von Kollegen sichtbar ist, diese aber das Posting wiederum mit ihrem engsten Freundeskreis teilen und so einen Kaskadeneffekt auslösen, als wenn der Arbeitnehmer im kleinsten Kreis in der Kaffeeküche über den Arbeitgeber herzieht und die Kollegen dieses dann ohne sein Wissen weitertratschen und so ebenfalls eine Lawine auslösen können?

Nicht zuletzt die durch Wikileaks und die Piraten angestoßene Diskussion um Transparenz zeigt überdeutlich, dass wir einen grundlegenden Wandel der Begriffe Vertraulichkeit, Geheimnis, Meinungsfreiheit usw. erleben werden. Allein schon die technischen Möglichkeiten verlangen nach angepassten Antworten, die sicher nicht durch einen Rückgriff auf einkonservatives Verständnis der Loyalitätspflichten des Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber zustande kommen.

Unternehmen sehen sich heutzutage einer weitgehend verselbständigten Meinungsbildung im Internet über ihre Produkte, ihre Arbeitsbedingungen und ihr Verhalten gegenüber der Gesellschaft und der Umwelt ausgesetzt. Die ebenso verzweifelten wie meist auch kläglichen Versuche, diese Meinungsbildung (verdeckt) zu steuern, entstammen einer Sichtweise, die Feedback als lästig und eben nicht als Chance zur Verbesserung wahrnimmt.

Einer solchen Haltung kann auch nicht an einem Feedback gelegen sein, das aus dem Unternehmen selbst kommt. Wer bei bestimmten Äußerungen von Mitarbeitern eine etwaige Kränkung, Verletzung, Beleidigung oder auch nur polemische Kritik im Fokus hat, vergisst darüber nicht nur, dass es der Empfänger ist, welcher der Botschaft ihre Bedeutung gibt, sondern lässt völlig außer acht, dass er gerade auch aus sozial ungefilterten Äußerungen sehr viel über sich selbst lernen kann.

Die ergangene Rechtsprechung zur Nutzung von E-Mail und Internet am Arbeitsplatz hat gezeigt, dass die Betriebsparteien gut daran tun, wenn sie selbst Sicherheit gebende Regeln für den Umgang mit dem Internet im betrieblichen Kontext schaffen. Dabei kann es weder darum gehen, der uferlosen Meinungsfreiheit die Tür zu öffnen, noch strenge Maulkörbe zu verpassen. Das Feedback, dass Arbeitnehmer auch in ungehaltenen bis kränkenden Äußerungen über Produkte, Arbeitsbedingungen, Kollegen, Vorgesetzte und den Arbeitgeber in Person geben, ist eine Fundgrube für jede Form der Unternehmensentwicklung, denn hier sprechen – gewollt oder ungewollt – die Experten, die von innen kommen. Wer diesen Fundus auszuschöpfen weiß, wird deutlich weniger Experten von außen brauchen, denn diese werden niemals soviel Einblick gewinnen können. Diese können jedoch den Prozess der Nutzung für das Unternehmen wirksam steuern, denn dafür fehlt es den direkt Beteiligten meist an Distanz und auchFeedback-Kultur.
Gut, wenn die Betriebsparteien einen Rahmen schaffen, der nicht nur klar erkennbare Grenzen definiert, sondern auch Strukturen erzeugt, in denen auch heftigste Kritik so lange geäußert werden kann, bis sie von selbst aufhört, weil ihr durch ihre konsequente Nutzung zur Verbesserung die Grundlage entzogen wurde.

Zum Schluss soll eine weitere Entscheidung des LAG Hamm (16.01.2012, 7 Sa 1201/11) ein Beispiel dafür liefern, wie schon an sich unbeachtliche Vorgänge bei der Nutzung von E-Mail und Internet zu solch umfangreichen Streitigkeiten führen, dass sich das Gericht zu deutlichen Watschen für eine der Parteien (in diesem Falle den Arbeitgeber) genötigt sieht. Dem bei einer IT-Firma beschäftigten Arbeitnehmer sollte zunächst betriebsbedingt gekündigt werden. Kurz darauf wurde ihm außerordentlich, hilfsweise ordentlich gekündigt, weil er wie vorgesehen seinen Dienst-Laptop abgegeben, aber alle darauf gespeicherten E-Mails gelöscht und eine E-Mail des COO aus der Zentrale, die er im cc erhalten hatte, an seine private E-Mail-Adresse weitergeleitet hatte. In dieser Mail ging es um wirtschaftliche Zahlen und daraus resultierende Vorgaben für die Umstrukturierung der Abteilung des Arbeitnehmers, die zu seiner betriebsbedingten Kündigung führten. Ziel der Weiterleitung dieser Mail war es nach Aussage des Arbeitnehmers, in der Freizeit an einem Konzept zu arbeiten, dass den Erhalt seines Arbeitsplatzes ermöglicht hätte.

Das LAG hielt sowohl das Löschen der E-Mails als auch die Weiterleitung in keiner Weise für geeignet und ausreichend, die Kündigungen zu rechtfertigen.

Der Arbeitgeber konnte nicht nachweisen, dass ihn der Arbeitnehmer mit dem Löschen der Mails schädigen wollte. Das Gericht folgte hier der Aussage des Arbeitnehmers, der Aufforderung, den Laptop „übergabefrei“ auszuhändigen, gefolgt zu sein.

Erschwerend kam für das Gericht hinzu, dass es offenbar betriebsüblich war, alle eingehenden E-Mails auf das (private!) Mobiltelefon des Arbeitnehmers weiterzuleiten. Somit befand sich die besagte E-Mail ohnehin schon im privaten Zugriff des Arbeitnehmers.

Offenbar kam in diesem Fall das ganze Verfahren nur zustande, um die Vorgaben des weit entfernt residierenden COO erfüllen zu können. Denn das Gericht fand deutliche Worte für den zwar umfangreichen, aber faktisch dünnen und rechtlich kaum haltbaren Vortrag des Arbeitgebers:

„Das Weiterleiten der E-Mail an die private E-Mail-Adresse des Klägers hat eine nur unwesentliche Zeitspanne eingenommen, so dass dieser Vorgang nicht unter dem Aspekt an sich zur Kündigung geeignet ist, der Kläger habe seine arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitszeit zweckwidrig verwendet. Auch ist die Gefahr einer Rufschädigung der Arbeitgeberin ausgeschlossen. Der Kläger hat keine Dateien aus dem Internet heruntergeladen, deren Zuordnung zu einem Rechner der Beklagten angesichts des Inhalts der Dateien eine Rufschädigung der Beklagten mit sich bringen oder aber eine Gefährdung der Betriebssysteme der Beklagten nach sich ziehen könnte. Auch ist nicht ersichtlich, dass die Weiterleitung der E-Mail bei der Beklagten zu hohen Kosten hätte führen können. (…) Die Kammer vermag trotz der sehr umfangreichen Darlegungen der Beklagten auch nicht zu erkennen, dass das Weiterleite der dienstlich erhaltenen E-Mail an die private E-Mail-Adresse des Klägers Straftatbestände verwirklicht haben oder eine Ordnungswidrigkeit im Sinne des BDSG sein könnte. (…) Die Beklagte hat sich zweitinstanzlich auf den Standpunkt gestellt, die Weiterleitung der E-Mail stelle sich jedenfalls auch dann als Privatnutzung heraus, wenn die Behauptung des Klägers zutreffend sein sollte, er habe dies unternommen, um den Inhalt der E-Mail im Rahmen eines Konzeptes zum Erhalt der Marketingabteilung und damit seines Arbeitsplatzes zu verwenden. Dem vermag die Kammer nicht zu folgen. Denn das Verhalten des Klägers erfüllt nicht den Tatbestand einer Privatnutzung von E-Mail-Einrichtungen, die dienstlich zur Verfügung gestellt worden seien. Zwar mag es sein, dass der Kläger keinen Auftrag hatte, an einem solchen Konzept zu arbeiten. Es bleibt aber dabei, dass die Erstellung eines solchen Konzepts einen ganz deutlichen dienstlichen Bezug hatte, unabhängig davon, ob die Beklagte ein solches Konzept in Auftrag gegeben oder aber hätte verwenden wollen. Daran ändert nichts, dass der Kläger dieses Konzept außerhalb der von ihm zu leistenden Arbeitszeit und damit „privat“ hat erstellen wollen. (…) Diesen Anforderungen genügt der Sachvortrag der Beklagten nicht. So wechselt der Sachvortrag der Beklagten zwischen den Instanzen und ist insgesamt ohne Substanz.“

Es passt ins Bild, dass sich der Arbeitgeber von solch deutlichen Worten des Gerichts auch nach den abschließenden Ausführungen zu einer möglichen Revision („Keine der entscheidungserheblichen Rechtsfragen hat grundsätzliche Bedeutung. Die Rechtsfragen berühren auch nicht wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder eines größeren Teils der Allgemeinheit.„) nicht davon hat abbringen lassen,Nichtzulassungsbeschwerde zum BAG zu erheben. Wir beobachten immer wieder, dass die Vorgaben aus einer (Konzern-) Zentrale in den Einzelbetrieben nur durch teure Rechtsstreitigkeiten erfüllbar zu sein scheinen. Entweder sind die Vorgaben realitätsfern oder es fehlen vor Ort Rückgrat und Lösungsphantasie. Ob die durch die (vermeintlich) betriebsbedingte Kündigung für die Zukunft erwartet eingesparten Kosten wirklich höher sind, als die Kosten dieses Rechtsstreits, scheint jedenfalls im vorliegenden Fall keine Rolle mehr zu spielen.

 

Ein Grund mehr für klare Vereinbarungen mit Augenmaß rund um E-Mail und Internet, denn diese schützen beide Seiten vor vermeidbaren und teuren Fehlern.

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