BAG: Verrechnung von Minusstunden nicht ohne weiteres möglich

Der Umgang mit Minus- und Überstunden ist in vielen Betrieben Anlass zu Streitigkeiten. Nun hat das BAG wenigstens in einem Teilbereich des Themenkomplexes „Arbeitszeitkonto“ Klarheit für die Beteiligten geschaffen (BAG, 21.03.2012, 5 AZR 676/11). Demnach ist es nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich, Minusstunden mit einem Arbeitszeitguthaben zu verrechnen. 

Grundsätzlich hat der Arbeitnehmer einen Anspruch darauf, vertragsgemäß beschäftigt zu werden. Kann der Arbeitgeber ihn nicht im vollen Umfang wie in Arbeits- oder Tarifvertrag vereinbart beschäftigen, trägt er zunächst einmal das Wirtschaftsrisiko und muss seinen Arbeitnehmer im vereinbarten Umfang bezahlen, wenn dieser wie vereinbart seine Arbeitsleistung anbietet (Annahmeverzug, §615 BGB).

Eine Flexibilisierung innerhalb dieses Rahmens kann durch Arbeitszeitkonten erreicht werden, die die tatsächlich geleistete Arbeitszeit erfassen. Die Verrechnung von Minusstunden mit Arbeitszeitguthaben muss dabei jedoch wie das Arbeitszeitkonto selbst in Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag explizit so vereinbart werden, so das BAG.

Im vorliegenden Fall führte der Arbeitgeber ein Arbeitszeitkonto, welches nur die Überstunden für den erforderlichen Freizeitausgleich auswies. Eine gesonderte Vereinbarung, die die Verrechnung von Minusstunden mit diesem Guthaben zuließ, lag nicht vor.

Arbeitgeber, die ein berechtigtes Interesse an der Milderung ihres Wirtschaftsrisikos durch flexible Arbeitszeitregelungen haben, müssen darauf achten, das von ihnen bevorzugte Modell auf eine solide rechtliche Basis zu stellen. Eine Änderung der Arbeitsverträge durch entweder freiwillige Zusatzvereinbarung oder aber durch Änderungskündigung bietet sich nur bedingt an, da neben dem erheblichen verwaltungstechnischen Aufwand auch mit Widerstand aus der Belegschaft zu rechnen ist. Auf kollektivrechtlicher Ebene dürfte es zwar ebenfalls Widerstand geben, jedoch ist dieser aufgrund des überschaubaren Personenkreises in offenen Verhandlungen leichter zu handhaben. Außerdem können im Rahmen der Verhandlungen teure Nachfolgekonflikte vermieden werden, wenn beide Seiten eine faire und tragfähige Lösung anstreben. Und nicht zuletzt kann die Kompetenz von Betriebsräten bzw. Tarifpartnern genutzt werden, um noch besser passende Lösungen zu generieren.

Eine korrekte Arbeitszeiterfassung und -abrechnung ist allein schon deswegen ein Muss, da sich aus einer fehlerhaften Erfassung nicht nur Konflikte mit den Arbeitnehmern, sondern auch mit den Sozialversicherungen ergeben können, wenn sich dadurch z.B. bei der Abgeltung am Ende des Ausgleichszeitraums Unkorrektheiten bei der Berechnung des sozialversicherungspflichtigen Entgelts ergeben. In diesem Zusammenhang sei noch einmal auf den §16 (2) Arbeitszeitgesetz hingewiesen, der die Aufzeichnungspflicht aller Arbeitsstunden, die über die werktäglichen 8 Stunden hinausgehen, vorsieht.

Als Arbeitnehmer muss man nicht nur in seinen Arbeitsvertrag, sondern ggf. auch in eine entsprechende Betriebsvereinbarung oder einen Tarifvertrag schauen, wenn einem die Verringerung des Arbeitszeitguthabens spanisch vorkommt. Im Zweifel lohnt ein Gang zum Betriebsrat, um sich beraten zu lassen bzw. den Betriebsrat auf etwaige Missstände aufmerksam zu machen.

Mit seinem erzwingbaren Mitbestimmungsrecht aus §87 (1) Nr. 2 und 3 BetrVG hat der Betriebsrat ein starkes Instrument, um Einfluss auf Arbeitszeiten, ihre Erfassung und den ggf. notwendigen Ausgleich zu nehmen. Grundsätzlich unterliegt dabei jede angeordnete Arbeitsstunde der vorherigen Zustimmung durch den Betriebsrat. Dies gilt auch für ggf. kurzfristig anfallende Verlänger- oder Verkürzungen. Will sich der Betriebsrat nicht mit jedem Einzelfall beschäftigen müssen, kann er seine Zustimmung gebunden an bestimmte Voraussetzungen auch pauschal vorab erteilen (Betriebsvereinbarung).

Grundsätzlich lohnt sich die Beschäftigung mit dem Thema Arbeitszeit, da hier Fehlentwicklungen erkannt und die Wettbewerbsfähigkeit durch moderne Arbeitszeitmodelle gestärkt werden können. Das Initiativrecht gibt dem Betriebsrat die Möglichkeit, aus eigenem Antrieb etwas für Belegschaft und Betrieb zu tun. Einen ersten Überblick über verschiedene Arbeitszeitmodelle mit Best-practice-Beispielen sowie Empfehlungen für den Abschluss von Betriebsvereinbarungen gibt die Broschüre „Im Takt? Gestaltung von flexiblen Arbeitszeitmodellen“ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin BAUA.

Praxis-Tipp: Die Einhaltung des gesetzlichen resp. tarifvertraglichen Ausgleichszeitraums gestaltet sich ohne ein modernes elektronisches Dienstplanprogramm in der Praxis als schwierig. Schließlich beginnt für jeden Tag, an dem eine Arbeitszeitverlängerung über 8 Stunden anfällt, ein eigener Ausgleichszeitraum an zu laufen. Um den Überblick nicht zu verlieren, sollten beide Betriebspartner darauf dringen, ein Arbeitszeiterfassungsprogramm einzusetzen, welches diese Anforderungen erfüllt. Zumindest jedoch sollten in einer Betriebsvereinbarung Stichtagsregelungen eingeführt werden, die durch z.B. Nullstellungen der Konten immer wieder Grundlinien einziehen und so einer fehlenden Nachvollziehbarkeit endlos laufender Konten die Grundlage entziehen.

 

2 Gedanken zu “BAG: Verrechnung von Minusstunden nicht ohne weiteres möglich

  1. Ich bin beschäftigt im öfentlichen Dienst mit täglich 6Std.(Rathaus, Schulhort.Bibliothek,Kindergarten als Reinigungsarbeiter und für anfallende Aufgaben.Durch die Winterferien in der Schule wurde mir angewiesen in den zwei Wochen nur täglich 4 Std zu arbeiten und meine Überstunden (etwa 6)
    abzusetzen und ins minus zu gehen.Meine Frage ist ob ich mich darauf einlassen muß, da ein ordentliches Gespräch mit der Leiterin des Kindergartens nicht möglich ist.

    Danke für die Bearbeitung

    • Sehr geehrte Frau Kecke,

      bitte haben Sie dafür Verständnis, dass wir im Rahmen dieses Blogs keine Rechtsberatung vornehmen können und dürfen. Sollten Sie unsere allgemeinen Ausführungen nicht weiterbringen, so empfehlen wir Ihnen, sich an den zuständigen Personal- bzw. Betriebsrat und/oder einen Fachanwalt für Arbeitsrecht zu wenden.

      Grundsätzlich haben Arbeitnehmer Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung. Es kommt also zunächst darauf an, was bzgl. der Verteilung der Arbeitszeit in Ihrem Arbeitsvertrag steht.
      Will der Arbeitgeber nicht vertragsgemäß beschäftigen, indem er z.B. Arbeitszeiten anweist, die den Arbeitnehmer ins Minus führen würden, so kann der Arbeitnehmer (nachweisbar!) dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft vertragsgemäß anbieten und den Arbeitgeber damit in den Annahmeverzug setzen (§615 BGB). Schließlich kann der Arbeitgeber auch entscheiden, dass er die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nicht annehmen will. Die Verpflichtung zur vertragsgemäßen Vergütung bleibt jedoch davon unberührt.

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