Naiver Anwalt? Überstunden im Wert von 30.000 Euro verschenkt.

von Fachanwalt für Arbeitsrecht Philipp Ukert

In der Arbeitswelt ist es selbstverständlich, dass jedenfalls ab und an über die im Arbeitsvertrag vereinbarte Arbeitszeit hinaus gearbeitet wird. Häufig ist im Arbeitsvertrag resp. Tarifvertrag geregelt, ob und wie diese Überstunden vergütet werden. Doch manchmal finden sich in Arbeitsverträgen Bestimmungen, wonach Überstunden ganz oder zum Teil mit der vereinbarten Brutto-Vergütung bereits abgegolten seien.  

Mit einem extremen Fall hatte sich das Bundesarbeitsgericht zu befassen (BAG, 17.8.2011, 5 AZR 406/10). In dem Arbeitsvertrag mit dem klagenden Anwalt war vereinbart, dass die zu zahlende Brutto-Vergütung eine „etwaig notwendig“ werdende Über- oder Mehrarbeit abgelte. Dem Anwalt war in Aussicht gestellt worden, als Partner in die Kanzlei aufgenommen zu werden. Also leistete der Anwalt, wie viele andere Arbeitnehmer auch, fleißig Überstunden, um sich für den Aufstieg zu empfehlen. Dabei wurde wohl auch, wie bei vielen anderen Arbeitnehmern ebenfalls, das Arbeitszeitgesetz fleißig „übersehen“. Doch der Traum vom Aufstieg platzte, wie bei vielen anderen Arbeitnehmern ebenfalls, worauf der enttäuschte und wütende (über sich selbst?) Anwalt wenigstens das Geld für die Überstunden haben wollte.

Bei dem Arbeitsgericht hatte die Klage keinen Erfolg, das Landesarbeitsgericht sprach dem Kläger immerhin mehr als EUR 30.000,00 zu. Das Bundesarbeitsgericht änderte diese Entscheidung und wies die Klage ab.

Das begründet das BAG indes nicht etwa damit, dass die Klausel im Arbeitsvertrag wirksam sei. Das ist sie nämlich auch nach Auffassung des BAG nicht. Das BAG hat auf seine bisherige Rechtsprechung zurückgegriffen und entschieden, dass eine Klausel dann unwirksam ist, wenn sie dem Arbeitnehmer nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür gibt, bis zu welcher Grenze er über die vereinbarte regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit ggf. ohne zusätzliche Vergütung arbeiten muss. Eine Klausel, die pauschal die Mehrarbeit regelt, ist nur wirksam, wenn sie klar und verständlich ist. Hierzu muss sich aus der Vereinbarung selbst ergeben, welche Arbeitsleistungen von ihr erfasst werden sollen. Es muss also klar angegeben werden, in welchem Umfang Überstunden durch die monatliche Brutto-Vergütung pauschal abgegolten sein sollen. Die Grenze zieht das BAG bei ¼ der vertraglich geschuldeten Arbeitszeit.

Wenn die Klausel in dem konkreten Fall als unwirksam angesehen wurde, dann fragt sich, warum das BAG die Klage dennoch abgewiesen hat. Richtig ist sicherlich der Ausgangspunkt der Überlegungen des BAG, dass nämlich die Feststellung der Unwirksamkeit der Abgeltungsklausel nicht notwendigerweise auch einen Anspruch auf Abgeltung begründet. Besteht keine ausdrückliche Regelung für die Vergütung der Überstunden, so gilt regelmäßig eine Vergütung als stillschweigend vereinbart (vgl. § 612 Abs. 1 BGB). Denn der Arbeitgeber muss davon ausgehen, dass der Arbeitnehmer angeordnete Überstunden nur gegen eine Vergütung leistet. Im konkreten Fall meinte das BAG aber, dass bei „Diensten höherer Art“ regelmäßig keine zusätzliche Vergütungserwartung bestehe. Diese Überlegungen des BAG werden also nicht ohne Weiteres für „normale“ Arbeitsverhältnisse verallgemeinert werden können.

Damit konzentriert die Frage sich in allgemeinen Fällen der Vergütung von Überstunden darauf, ob der Arbeitgeber Überstunden angeordnet hat und ob der Arbeitnehmer im Streitfall im Einzelnen den Umfang und die zeitliche Lage der Überstunden darlegen und ggf. beweisen kann.

 

Für die Arbeitsvertragsparteien bedeutet das: Wollen sie jede Unklarheit über die Vergütung von Überstunden beseitigen, muss im Arbeitsvertrag klar, ausdrücklich und unmissverständlich niedergelegt werden, was sie vereinbart sehen wollen.

Fehlt es im Arbeitsvertrag an einer derartigen Regelung, wird vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts weiterhin vom Arbeitnehmer dargelegt werden müssen, dass Überstunden von dem Arbeitgeber angeordnet wurden und welchen Umfang sie hatten und wann sie geleistet wurden. Es kann nur empfohlen werden, sich als Arbeitnehmer genau zu überlegen, ob man ohne klare Anweisung das Risiko eingehen will, umsonst gearbeitet zu haben. Zur eigenen Absicherung sollte mindestens ein Arbeitszeitprotokoll geführt werden, dass neben Zeiten und Tätigkeitsinhalten auch Angaben dazu macht, wieso diese Überstunden erforderlich waren und welcher Vorgesetzte sie angeordnet oder zumindest davon billigend Kenntnis hatte.

Der Betriebsrat kann das Risiko für die Arbeitnehmer minimieren, indem er im Rahmen seiner Mitbestimmungsrechte nach §87 (1) Nr. 2 und 3 BetrVG klare Regelungen für Überstunden und deren Abgeltung schafft.

 

Fazit: Eine Unternehmenskultur, die zumindest stillschweigend denjenigen Arbeitnehmern, die jenseits von Arbeitsvertrag, Mitbestimmung und u.U. sogar Arbeitszeitgesetz Überstunden leisten, Vorteile verspricht, wird mit dem Risiko von erheblichen Vertrauensverlusten und Konflikten leben müssen. Schließlich können nicht alle offenen oder verdeckten Versprechungen eingehalten werden. Ob die offenkundigen wirtschaftlichen Vorteile für den Arbeitgeber die offenen und verdeckten Kosten der durch den enttäuschten Arbeitnehmer verursachten „Ansteckung“ seiner Kollegen übersteigen, ist zumindest auf längere Sicht mehr als fraglich. Die Kostengründe sprechen also eher gegen die diesem Fall zugrundeliegende Praxis.

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