Arbeitsbefreiung: Das Betriebsratsmitglied im Spannungsfeld zwischen Betriebsratstätigkeit und Tätigkeit am Arbeitsplatz – Teil 3

von Mediator und Coach Sebastian Schoberansky

In unserer Reihe zur Arbeitsbefreiung nach §37 (2) BetrVG haben wir im ersten Teil die Konfliktlinie BRM – Arbeitgeber analysiert und geeignete Lösungsvorschläge aufgezeigt. Im zweiten Teil haben wir die Konfliktlinie BRM – Kollegen betrachtet, die von den BRM als nicht weniger belastend empfunden wird. Aus aktuellem Anlass führen wir nun unsere Serie mit der Konfliktlinie BRM – Gremium fort.  

 

Konfliktlinie BRM – Gremium

Grundsätzlich gilt, dass ein BRM zur eigenverantwortlichen Amtsführung nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet ist. Dies spiegelt sich zum einen darin, dass der Vorsitz als „Gleicher unter Gleichen“ den anderen BRM gegenüber keinerlei Weisungsrecht besitzt und dass eine Sanktionierung eines BRM nur bei groben Verstößen gegen seine gesetzlichen Pflichten möglich ist, zum anderen darin, dass das BRM auch bei korrekter Einladung zur Sitzung selbsttätig zu prüfen hat, ob die Sitzungsteilnahme erforderlich ist und nicht ggf. hinter einer dringenden Tätigkeit am Arbeitsplatz zurückzustehen hat (zuletzt: Hessisches LAG,  04.02.2013,  6 TaBV 261/12).

Das hohe Gut der Unabhängigkeit jedes einzelnen BRM zur freien Willensentscheidung kollidiert in der Praxis regelmäßig mit unterschiedlichen Auffassungen über das betriebsrätliche Selbstverständnis bei der Erledigung der Aufgaben wie auch bei strategischen Überlegungen und Abstimmungen.

 

Eigene Meinung vs. Gremien- oder Fraktionszwang

Betriebsräte stehen vor dem Dilemma, dass der Gesetzgeber eine möglichst breitgefächerte Besetzung des Gremiums als Repräsentant möglichst vieler Gruppierungen des Betriebes wünscht, auf der anderen Seite aber die Belange der Arbeitnehmer nur Berücksichtigung finden können, wenn der Betriebsrat eine gewisse Durchsetzungsfähigkeit besitzt. Die dafür erforderliche Macht kann nur durch eine effektive Bündelung der Energien erreicht werden.

Die Teilnahme an Abstimmungen oder an vorbereitenden Arbeitsgruppen und Ausschüssen wird daher oftmals  zu einer Frage der Durchsetzungsfähigkeit sowohl als Gremium insgesamt wie auch einer bestimmten Gruppierung innerhalb des Gremiums.

Da der Betriebsrat im „Wie“ seiner Amtsführung im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften frei ist, ist es auch das einzelne BRM. Eine Verpflichtung zur Teilnahme besteht nur bei ordnungsgemäß einberufenen und erforderlichen Sitzungen, zum Wissenserwerb und dann nur noch bei freiwillig übernommenen Mandaten bzw. Aufgaben wie z. B. im Gesamtbetriebsrat oder im Betriebsausschuss. Innerhalb dieser Pflichten ist das BRM frei, seinem eigenen Gewissen zu folgen.

Das Gremium selbst muss sich darüber im Klaren sein, dass weder Notwendigkeit noch Zwang zu bestimmten Abstimmungsergebnissen wenn nicht gar zur Einstimmigkeit besteht. Wer seine Gestaltungsmacht nicht oder nicht in einer bestimmten Weise nutzen will, kann vom Rest nicht dazu gezwungen werden.

Wird hier zuviel Druck auf das einzelne BRM ausgeübt, wird dieses dem Druck aus dem Wege zu gehen versuchen. Dies kann durch entsprechenden Gegendruck bzw. deutlich gezeigtes Beharrungsvermögen, aber letztlich auch durch Vermeidung, sprich durch reduziertes Engagement bis hin zur Nichtteilnahme an Sitzungen geschehen.

 

„Ich hab noch soviel Arbeit auf dem Schreibtisch!“

Wer als BRM nicht so gern viel Zeit im Betriebsrat verbringt, nutzt häufig diese Erklärung, wenn er nicht zur Sitzung kommt oder keine Aufgaben übernehmen will.

Hierbei muss allen klar sein, dass zwar jedes einzelne BRM selbsttätig prüfen muss, ob eine Tätigkeit für den BR tatsächlich erforderlich ist und nicht etwa einer dringenden betrieblichen Tätigkeit am Arbeitsplatz weichen muss oder aber von einem anderen BRM oder zu einem anderen Zeitpunkt erledigt werden kann, diese Prüfung jedoch nicht nach subjektivem Empfinden, sondern wie durch einen vernünftigen Dritten unter objektiver Würdigung der Gesamtumstände zu erfolgen hat.

In der Praxis wird diese Prüfung meist durch die unterschiedlichen Interessenlagen eingefärbt, so dass es hier zu oft heftigen Konflikten zwischen den BRM kommt. Die gleichmäßige Verteilung der zu erledigenden Aufgaben ist zwar ein schönes und sinnvolles Ziel, kann aber nicht gegen den Willen der BRM erzwungen werden, wenn diese eine andere Auffassung über Einhaltung von Pflichten und Aufgabenerledigung innerhalb ihres Ehrenamtes haben.

Es hilft leider nur wenig, wenn sich das Gremium die dazu geltenden Bestimmungen vergegenwärtigt, da die der jeweiligen Auffassung zugrundeliegenden Überzeugungen, Werte und Interessenlagen viel stärker wirken und letztlich nur bewirken, die Bestimmungen und deren Lücken im eigenen Sinne zu nutzen.

Das Gremium kann nur versuchen, die Arbeit im Betriebsrat auch für bisher zurückhaltende BRM attraktiv zu machen. Dazu müssen sich nun die aktiven BRM einmal zurückhalten und den anderen BRM die Möglichkeit geben, ihre Vorstellungen zu artikulieren und wirkungsvoll einzubringen. Zuvor muss sich das Gremium mit den unterschiedlichen Vorstellungen von Betriebsratsarbeit und den im Gremium vertretenen Überzeugungen und Werten ebenso offen interessiert wie wertschätzend auseinandergesetzt und ein gemeinsames Bild vom Selbstverständnis dieses Betriebsrats erarbeitet haben.

Gelingt es nicht, die Attraktivität für bestimmte BRM und damit auch ihr Engagement für und im Betriebsrat zu erhöhen, können mit der Methode „Stunde der Wahrheit“ ebenso lähmende wie kraftbindende und ärgerliche Illusionen zerstört werden. Fragen wie

  • „Was willst Du eigentlich wirklich im Betriebsrat?“
  • „Ist das hier ganz sicher der richtige Ort für Dich?“
  • „Wie zufrieden bist Du eigentlich mit unserer Zusammenarbeit hier und Deiner Leistung im Gremium?“
  • „Fühlst Du Dich ausreichend willkommen, kannst Du hier ausreichend wirksam sein?“
  • „Was würdest Du machen, wenn Du die freie Wahl hättest und auf niemanden Rücksicht nehmen bräuchtest?“
  • „Mal ganz ehrlich, Du willst doch hier nur das Allernotwendigste tun, um Dein Mandat zu behalten, oder?“

können nicht nur bei der kritischen Selbstreflektion helfen, sondern machen auch klar, dass es hier um eine schonungslose Bestandsaufnahme geht, bei der Ausflüchte und vage Antworten nicht ausreichen werden.

Die durchaus provozierende Zuspitzung der Fragen sollte unbedingt durch kritisches Feedback unterstützt werden. Dabei muss unbedingt eine Schonhaltung vermieden werden, die es dem BRM erlaubt, in seiner Komfortzone zu verbleiben. Verharmlosendes „Sandwich“- Feedback nach dem Muster „Positives-Negatives-Positives“  hat deshalb keinen Platz, stattdessen sollten Satzmuster wie

  • „Mir ist in der BR-Arbeit/folgendes wichtig: …       Ich beobachte, dass Du…/Ich erlebe Dich als/so …       Dabei fühle/befürchte ich…     Eigentlich wünsche ich mir von Dir…“
  • „Wenn Du das (nicht) tust/Als Du das (nicht) getan hast…      dachte ich bei mir/fühlte ich…“
  • „Ich beobachte bei Dir (nicht), dass Du…       Deshalb glaube ich, dass Du…      Ist an meiner Vermutung etwas dran?“
  • „Ich erlebe Dein Verhalten als völlig unvereinbar mit meinen…      Ich möchte so mit Dir nicht mehr zusammenarbeiten! Wir brauchen eine grundlegende Veränderung, und zwar…“
  • „Ich halte Dich für…,  weil Du…       Darüber ärgere ich mich/das stört mich erheblich.“
  • „Folgendes stört mich an Dir besonders:…        und das hat folgende Auswirkungen auf mich/uns:…“
  • „Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich mir von Dir wünschen, dass Du….“

zur Anwendung kommen.

 

„Ich komme hier gar nicht zum Zug, Ihr reißt immer alles an Euch!“

Ein BRM, welches sich im Gremium nicht entfalten, welches keine Wirkung seines Tuns spüren kann, verliert seine Motivation und wird sich im Zweifel für die Tätigkeit am Arbeitsplatz entscheiden, wenn diese als befriedigender empfunden wird. Wer sich im Gremium verzweifelt bemüht oder sich überflüssig vorkommt, kann auch für den Betriebsrat zur inneren Kündigung greifen.

Ein BRM, das will, aber nicht darf, obwohl es eigentlich könnte, sieht für die übrigen Gremienmitglieder von außen sehr leicht wie ein BRM aus, das dem Typus des vorangegangenen Teils entspricht. Das Problem: In beiden Fällen fühlen sich die engagierten BR-Mitglieder auf der sicheren Seite, doch in diesem Fall sind sie nicht mehr vorrangig Opfer, sondern tragen eine erhebliche Verantwortung am Zustandekommen des Problems. Allein schon zur Vermeidung dieser unangenehmen Wahrheit ist es für diese BRM sehr schwer, das kritisierte BRM in seiner Not wahrzunehmen.

Daher muss das betroffenen BRM sehr genau abwägen, ob eine Offenlegung seines Problems vom Gremium überhaupt in fruchtbarer Weise bearbeitet werden kann. Sind die erforderlichen Kompetenzen in Kommunikation, Konfliktbearbeitung, Einfühlung und Selbstreflektion nicht wenigstens bei einem entscheidenden Teil der Gremienmitglieder vorhanden, muss von einer Offenlegung ohne unterstützende Moderation durch einen Dritten abgeraten werden.

Für ein solches klärendes Gespräch sollten vorab einige Regeln vereinbart und für alle sichtbar auf einem Flipchart aufgeschrieben werden:

  • Wertschätzung und Respekt für die Wahrheit des anderen.
  • Keine vorschnelle Verteidigung und Rechtfertigung, sondern in Ruhe zu Ende anhören.
  • Jeder spricht von und über sich selbst, also per „ich“ statt per „man“.
  • Vertraulichkeit über das Gesagte.
  • Jeder darf jedem Feedback geben.
  • Feedback als Geschenk, besser werden zu können.
  • Konkrete Aussagen statt Verallgemeinerungen.
  • Keine Beleidigungen oder tätliche Angriffe, aber Großzügigkeit gegenüber starken Emotionen.

Da sich das sich offenbarende BRM in aller Regel zunächst in der Minderheit befindet, wird es auch sehr empfindlich reagieren, wenn es den Eindruck bekommt, dass sich das Gremium gar nicht für seine Sichtweise interessiert. Daher sind schnelle Repliken, Gegenargumentationen und Bewertungen unbedingt zu vermeiden; diese können auch später noch angebracht werden. Stattdessen können neben interessiertem und aktivem Zuhören die folgenden Fragen öffnende Wirkung haben:

  • Was wird aus Deiner Sicht wohl passieren, wenn wir so wie bisher weitermachen?
  • Was genau müssten wir tun, damit sich die Sache hier noch weiter verschlechtert?
  • Was müsstest Du tun, damit sich die Sache hier noch weiter verschlechtert?
  • Was ist hier eigentlich schon ganz gut, auch wenn es noch besser sein könnte?
  • Wovon brauchst Du mehr, wovon weniger, damit es Dir hier besser geht?
  • Welche konkreten Wünsche hast Du an jeden einzelnen von uns?
  • Was könntest Du tun, damit es Dir hier besser geht?

 

„Das ist ja alles überflüssig und realitätsfern, was ihr hier macht!“

Es passiert immer wieder, dass sich Menschen in den Betriebsrat scheinbar verirrt haben, denn sie zeigen nicht nur mit Äußerungen wie der obigen, sondern oft mit jeder Faser ihre Körpers, dass sie nicht nur dem Betriebsrat kritisch bis ablehnend gegenüberstehen, sondern auch Denk- und Sichtweisen, insbesondere die juristische, kaum nachvollziehen können.

Die Gründe dafür sind vielfältig:

  • Das BRM agiert als U-Boot des Arbeitgebers.
  • Das BRM wurde zur Kandidatur überredet.
  • Dem BRM ist die juristische Denkweise fremd, es versteht die spezielle Sprache nicht und es fehlt ihm an Wissen über die rechtlichen Grundlagen.
  • Das BRM ist eher an praktischen Lösungen als an Regeln orientiert.
  • Das BRM folgt eher der Sichtweise des Arbeitgebers, ob nun aus Angst oder aus Überzeugung.
  • Das BRM sieht in einer Sache eher die Chancen und Notwendigkeiten als Gefahren und Probleme.
  • Das BRM fühlt sich der Gruppe nicht zugehörig.
  • usw.

Der innere Widerstand gegen das, was im Betriebsrat passiert, führt von starkem Reformeifer über Sticheleien und Wadenbeißereien bis hin zu Resignation und Amtsniederlegung. In jedem Fall leiden aber Engagement und Leistung in der Sache.

Wichtigste Erkenntnis für das Gremium aus einer solchen Situation: offenbar herrscht keine Einigkeit über Selbstverständnis, Arbeitsweise, Werte und Regeln sowie Aufgaben und Ziele des Betriebsrats. Eine vollständige Einigkeit ist weder erforderlich noch ratsam, jedoch darf daraus nicht abgeleitet werden, dass man sich die Kommunikation darüber, wer man ist bzw. sein will sowie wie und wofür man arbeiten möchte einfach sparen könnte.

Erst nach einer solchen Klärung kann beurteilt werden, welche Unterschiede das Gremium bzw. das einzelne BRM aushalten kann und welche nicht bzw. welche Maßnahmen zur Verringerung der Unterschiede ergriffen werden können und müssen, um die vorhandenen Fähigkeiten und Kenntnisse produktiv einsetzen zu können.

In diesem Prozess muss jedoch vor einigen Wahrnehmungsfehlern gewarnt werden:
  • Wir waren uns einig, bis dieser Querulant kam.
  • Ein Betriebsrat muss sich nunmal so verhalten.
  • Die Mehrheit gewinnt und hat deshalb auch in der Sache recht.
  • Den brauchen wir nicht ernst zu nehmen, denn der gehört ja zu denen, die…
  • Der soll erstmal unser Wissen und unsere Erfahrung haben, dann wird der ganz anders reden.
  • Wenn wir den Träger der Irritation erst entfernt haben, werden wir wieder gut zusammenarbeiten können.
Nur wer sich davor zu hüten versteht, in die bequeme Freund-Feind-Sichtweise zu verfallen, wird zukünftig Fehler durch einseitige Sichtweisen vermeiden können.

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