Arbeitszeiterfassung: Wenn Freiheit zur Stolperfalle wird.

Mit der von der modernen Arbeitswelt geforderten Flexibilität verändern sich nicht nur traditionelle Arbeitszeitmodelle, sondern damit einhergehend auch die Methoden der Arbeitszeiterfassung. Gerade in jung-dynamischen Dienstleistungsbranchen scheint die gute alte Stechuhr einen massiven Widerspruch zu Image und Arbeitskultur darzustellen, so dass hier die Bandbreite von der formlosen Selbstaufschreibung bis zum gänzlichen Verzicht auf eine Erfassung reicht. Blöd nur, wenn eines Tages Streit über die tatsächlich geleistete Arbeitszeit entsteht, denn schließlich hat der Arbeitgeber bei aller Freiheit einen Anspruch auf korrekte Erfüllung des Arbeitsvertrages. Dies beinhaltet auch das korrekte Erfassen der eigenen Arbeitszeit in der Selbstaufschreibung. Doch da lauert eine böse Falle für die Arbeitnehmer, wie ein Urteil des LAG Mainz (15.11.2012, 10 Sa 270/12) zeigt. 

Das LAG hatte den Fall einer städtischen Kassenkraft zu entscheiden, die wie alle KollegInnen mit Zustimmung des Personalrats ihre Arbeitszeit handschriftlich selbst aufzeichnete. Dabei kam es aus ihrer Sicht zu dem Irrtum, dass sie an einem Tag, an dem sie nachweislich nicht gearbeitet hatte, 6 Stunden Arbeitszeit eingetragen hatte. Dieser Fehler sei ihr wohl aufgrund einer besonderen Belastungssituation durch Mobbing und Bossing unterlaufen; zugleich bestritt sie, die Eintragung selbst vorgenommen zu haben, da sich die entsprechende Karte auch im Zugriff des Arbeitgebers befand, so dass Manipulationen in sie schädigende Absicht nicht auszuschließen seien.

Das LAG bestätigte die fristlose Kündigung des Arbeitgebers wegen des mit dem Arbeitszeitbetrug einhergehenden erheblichen Vertrauensverlustes. Die Arbeitnehmerin sei auch unter besonderen Umständen dazu verpflichtet, eine korrekte Arbeitszeiterfassung durchzuführen. Anstatt die Eintragung sofort vorzunehmen, habe sie durch die später erfolgende Eintragung billigend in Kauf genommen, einen z.B. durch Erinnerungslücken entstandenen Fehler zu machen.

An diesem Punkt sind die Ausführungen des LAG bedenkenswert, denn in der Praxis kommt es immer wieder einmal vor, dass die Eintragung nicht zeitnah, sondern mit z.T. erheblicher Verzögerung vorgenommen wird. Jeder, der einmal vor der Problematik stand, einen zurückliegenden Vorgang korrekt zu erfassen, weiß um die Schwierigkeit, sich daran zu erinnern, wann was genau war.

Hier bekommt das Urteil auch seine Brisanz für all jene, die bis jetzt gedacht haben, dass dieser Fall für sie keine Bedeutung habe, da in ihrem Betrieb die Arbeitszeit gar nicht erfasst werde. Im Streitfall wird der Arbeitgeber hier zwar nicht die unkorrekte Arbeitszeiterfassung rügen, jedoch geht es im Kern ebenfalls um Arbeitszeitbetrug. Gegen diesen Vorwurf kann sich ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitszeiten weder vom Betrieb noch von ihm selbst erfasst wurden, kaum mit irgendwelchen vagen Erinnerungen wehren.

Für Sie als Arbeitgeber kann der Verzicht auf teure Zeiterfassungssysteme nicht nur aufgrund der Investitionsersparnis attraktiv sein, sondern wird Ihnen für das gleiche Geld in aller Regel mehr Arbeitszeit bringen. Das liegt zum einen daran, dass Arbeitnehmer aus Angst eher zu ihren eigenen Ungunsten runden, und zum anderen werden sich engagierte Mitarbeiter davor hüten, alle Überstunden anzugeben, wenn Sie ihnen klar gemacht haben, dass sie Verstöße gegen die Höchstarbeitszeit nicht dulden und daher, im Falle der Erfassung, keine Zeiten über die arbeitsvertragliche Wochenarbeitszeit hinaus akzeptieren werden. Das Dilemma, bei hoher Arbeitsbelastung länger arbeiten zu müssen, als gemeinhin akzeptiert, lösen die meisten Arbeitnehmer zu eigenen Ungunsten, um sich Ärger zu ersparen.

Dieses System setzt jedoch voraus, dass Sie ausreichend gegenseitige soziale Kontrolle etabliert haben und die wenigen, die tatsächlich so arbeiten, wie eingetragen bzw. angesagt, oder aber die Abgeltung der von Ihnen geduldeten weil stillschweigend erwarteten Mehrarbeit verlangen, nicht durch lautstarke Aktionen sanktionieren. Denn wenn erst einmal das Vertrauen in dieses System erschüttert worden ist, wird das Phänomen „Dienst nach Vorschrift“ wie ein Virus um sich greifen. Es kommt also darauf an, keinem der Mitspieler in diesem System einen ultimativen Schaden zuzufügen.

Im Betriebsrat haben Sie die Möglichkeit, ein aus Ihrer Sicht passendes Arbeitszeitmodell nach §87 (1) Nr.2 initiativ einzuführen. Dazu gehört auch die Frage, wie die Arbeitszeiten erfasst werden sollen. Das Urteil stärkt dabei diejenigen Betriebsräte, die sich eher schützend vor die Mitarbeiter stellen wollen, denn sie haben nicht nur die Möglichkeit, sondern jetzt auch gute Argumente, eine Zeiterfassung zu fordern, die Manipulationen und Fehler zu Lasten der Arbeitnehmer wirksam verhindert. Hier ist vor allem an elektronische Systeme zu denken, wobei Sie in einer regelnden BV, nicht zuletzt nach §87 (1) Nr.6 BetrVG, Eingriffsrechte streng und die Nachvollziehbarkeit für Sie als Betriebsrat und Ihre KollegInnen äußerst transparent fassen sollten.

Wenn in Ihrem Betrieb kein fehlerfreies Erfassungssystem läuft, tragen Sie als Arbeitnehmer eine große Verantwortung, der Sie schon aus Gründen des Selbstschutzes sorgfältig nachkommen sollten. Es hat rein gar nichts mit übertriebener Angst zu tun, wenn Sie täglich ein eigenes Arbeitszeitprotokoll führen, welches neben Zeiten auch Arbeitsinhalte stichwortartig erfasst. Im Streitfall können Sie so viel leichter nachweisen, dass Sie sich korrekt verhalten haben.

Wenn Sie Stundenzettel abgeben, machen Sie sich vorher davon eine Kopie und vermerken Sie darauf Datum der Abgabe und die Person, der Sie das Original gegeben haben. Prüfen Sie die Ein- bzw. Übertragungen, die diese Person vorgenommen hat und fordern Sie bei Abweichungen unverzügliche Korrektur. Informieren Sie Ihre KollegInnen bei sich häufenden Abweichungen und geben Sie die hier aufgeführten Empfehlungen weiter. Beschweren Sie sich beim Betriebsrat und/oder Vorgesetzten, wenn Fehler zu Ihren Lasten ein erträgliches Maß überschreiten.

Bedenken Sie, dass Sie Ihrem Arbeitgeber die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit schulden und eben nicht einen bestimmten Erfolg. Es ist Aufgabe des Arbeitgebers, die Arbeit so zu organisieren, dass die zu erledigenden Aufgaben mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen, wie z.B. die Summe der vertraglich vereinbarten Arbeitszeiten, im gewünschten Sinne bewältigt werden können. Etwaige Versäumnisse, wie z.B. offenkundiger Personalmangel, gehen zu Lasten des Arbeitgebers. Sie sollten daher überlegen, ob Sie, wenn Sie sich in der normalen Arbeitszeit unter angemessener Anspannung Ihrer geistigen und körperlichen Kräfte der Aufgabe gewidmet haben, tatsächlich am Ende der regulären Arbeitszeit weiterarbeiten wollen und wenn ja, ob Sie sich dafür ausreichend entlohnt fühlen. Bedenken Sie, dass Sie, wenn Sie sich für langes Arbeiten entschieden haben, nicht erst später, wenn Ihre Kräfte natürlicherweise nachlassen werden, sondern schon im Hier und Jetzt einen Preis dafür bezahlen müssen. Wägen Sie diesen Preis genau gegen die Vorteile, die Sie durch langes und ggf. nicht erfasstes sowie abgegoltenes Arbeiten haben, ab.  Unabhängig davon, wie Ihre Entscheidung ausfällt, sollten Sie eine ehrliche und konsequente Arbeitszeiterfassung betreiben und diese von Zeit zu Zeit auswerten, um Ihre ursprüngliche Entscheidung ggf. überprüfen zu können.

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