Drum prüfe, wer sich anwaltlich bindet.

von Mediator und Coach Sebastian Schoberansky

Es hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass Anwälte ebenfalls Menschen sind und deswegen auch so etwas wie Gefühle haben. Nichtsdestotrotz scheint das Ausmaß des Einflusses ihrer Gefühle auf die Ausübung des jeweiligen Mandates unterschätzt zu werden. Zumindest von einigen Vertretern dieser Berufsgruppe. Doch der Reihe nach:  

Als Mitglieder einer Gruppe bzw. eines Forums zum Thema „Arbeitsrecht“ in einem großen deutschen Business-Netzwerk wurde ich Zeuge und Teilnehmer einer ebenso angeregten wie lehrreichen Diskussion zum Thema „Welcher Verfahrensweg ist der richtige für den klagenden Anwalt, wenn der Arbeitgeber die Anwaltskosten des Betriebsrats nicht zahlt und der Betriebsrat die Forderung an den klagenden Anwalt abgetreten hat.“ Das klingt jetzt wirklich nicht sonderlich spannend, doch die sich im Laufe des Threads entwickelnde Haltungsdiskussion hatte es in sich.

Bevor ich hier aber die Diskussion in ihren wesentlichen Teilen wiedergebe, werfen wir einen Blick auf grundlegende berufsrechtliche Regeln für Rechtsanwälte (BRAO, BORA):

§ 43 BRAO: Allgemeine Berufspflicht

Der Rechtsanwalt hat seinen Beruf gewissenhaft auszuüben. Er hat sich innerhalb und außerhalb des Berufes der Achtung und des Vertrauens, welche die Stellung des Rechtsanwalts erfordert, würdig zu erweisen.

§ 43a BRAO: Grundpflichten des Rechtsanwalts

(1) Der Rechtsanwalt darf keine Bindungen eingehen, die seine berufliche Unabhängigkeit gefährden.
(2) Der Rechtsanwalt ist zur Verschwiegenheit verpflichtet. Diese Pflicht bezieht sich auf alles, was ihm in Ausübung seines Berufes bekanntgeworden ist. Dies gilt nicht für Tatsachen, die offenkundig sind oder ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen.
(3) Der Rechtsanwalt darf sich bei seiner Berufsausübung nicht unsachlich verhalten. Unsachlich ist insbesondere ein Verhalten, bei dem es sich um die bewußte Verbreitung von Unwahrheiten oder solche herabsetzenden Äußerungen handelt, zu denen andere Beteiligte oder der Verfahrensverlauf keinen Anlaß gegeben haben.
(4) Der Rechtsanwalt darf keine widerstreitenden Interessen vertreten.
(5) Der Rechtsanwalt ist bei der Behandlung der ihm anvertrauten Vermögenswerte zu der erforderlichen Sorgfalt verpflichtet. Fremde Gelder sind unverzüglich an den Empfangsberechtigten weiterzuleiten oder auf ein Anderkonto einzuzahlen.
(6) Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, sich fortzubilden.
Doch nun zur Foren-Diskussion:
Ausgangspunkt war die Frage eines Rechtsanwaltes, ob die anwaltliche Vertretung des Betriebsrats, welcher seinen Freistellungsanspruch auf Kostentragung einer anwaltlichen Leistung nach §40 BetrVG an die anwaltliche Vertretung abgetreten hatte, die Kostenforderung gegen den Arbeitgeber im Beschlussverfahren oder in einer anderen Verfahrensart durchsetzen muss.
So weit, so sachlich.
Nachdem Forenmitglieder (Anwälte) in ihren antwortenden Beiträgen darauf abhoben, dass der Fragesteller als Anwalt des Arbeitgebers ja „ganz schön fies“ sein könne und ob es sich bei dem Arbeitgeber um einen handele, der mit Betriebsräten nicht umzugehen vermöge, antwortete der fragestellende Anwalt mit folgendem Text:
Ich will keinen guten Umgang mit dem Betriebsrat ! Der Betriebsratvorsitzende malt Karikaturen und hängt sie in der Kantine aus ! Der hat sie nicht alle ! Seitdem ich den Arbeitgeber vertrete gibts keine Lustreisen mehr und irgendwelche bekloppten Seminare. Jetzt wird mal so gearbeitet, wie es die andern Arbeitnehmer auch und in die Bücher gekuckt, wenn man was lernen will. Die AN müssen nämlich das Geld erstmal verdienen, dass der BR ausgibt. Anwaltskosten gibt nur mit der Kneifzange. Da kann ich mich richtig reinsteigern. Herrlich.

Die Äußerungen der Forenteilnehmer darauf waren stark gegenläufig: die Anwälte äußerten Verständnis für seine Position (mit dem Grundgedanken, der Auftraggeber wolle dies wohl so und der Anwalt folge dem nur), Betriebspraktiker dagegen zeigten ihre Skepsis bis Ablehnung gegen eine Haltung, die aus ihrer Sicht nicht förderlich sei. Darauf der Fragesteller:

„Schlechter Stil“, „Diffamierung“, „Ungeheuerlich“ : Ich hoffe es hilft einigen Vorschreibern in einen erfüllten Tag moralische Bewertungen abzugeben.

Wenn ich Betriebsrat wäre, würde ich die ganze Zeit den Chef penetrieren und für mehr netto in der Tasche der AN sorgen und für Top-Arbeitsbedingungen für mehr Produktivität.

Da kam in den Letzten JAHREN (!) null, nada, niente von der Gegenseite !

Nun fand ich es an der Zeit, mich mit einer neuen Betrachtungsweise einzumischen und verwies zum einen auf den psychologischen Effekt von Übertragung und Gegenübertragung, den man als Berater besser kennen und wissen sollte, was die eigenen Gefühle und was die des Gegenübers sind, und zum anderen darauf, dass der aggressive Sprachgebrauch darauf hindeute, dass der Anwalt bereits Teil des Problemsystems sei und deshalb nicht mehr die nötige Distanz habe, um eine nützliche andere Perspektive im Sinne des Auftraggebers einzubringen.

Darauf sprang ein anderer Anwalt mit folgendem Beitrag dem Kollegen zur Seite:

Rechtsanwalt ist kein Beruf mit psychologischen Beratungs- und Therapieelementen. Einen Anwalt beauftragt man, wenn man mit Reden und vernünftig sein nicht weiter kommt. Und erwartet dann jemanden, der uneingeschränkt loyal und kompromisslos für die eigene Seite streitet. Neutral ist schon der Richter, der Anwalt ist einseitig und subjektiv, er agiert am besten mit Tunnelblick und Schaum vor dem Mund.
Wir erzeugen keine Konfliktkosten, wir SIND die Konfliktkosten. Wir führen zum Ende mit Schrecken, wenn man den Schrecken ohne Ende satt hat.

Der Fragesteller stieß dann auch gleich ins selbe Horn:

Sehr richtig ! We are not in danger. WE ARE THE DANGER.

Ausserdem hat hier ja wohl jeder seinen Marx gelesen, oder ? Ein bischen Klassenkampf tut allen gut. Er führt zur Fortentwicklung der Gesellschaft.

Die kritischen Teilnehmer wurden dann grundsätzlicher und verwiesen auf die (mangelnde) Werteorientierung und die zu erwartenden langfristigen negativen Folgen. Darauf der Fragesteller:

Während die Kollegen Überstunden kloppen, macht der BR einen Ausflug zum Ballonfahren. Der BR -Vorsitzende malt Karikaturen, wonach es sich bei dem AG um einen „Schlachtbetrieb“ handelt und hängt diese in der Kantine aus. Obwohl 1/3 der Belegschaft und der Datenschutzbeauftragte schriftlich widersprechen, verlangt der BR einen direkten Zugang zum Zeiterfassungssystem. Mit Händen und Füßen wehrt sich der BR gegen die Einführung eines Prämiensytems, dass den Mitarbeitern in guten Geschäftsjahren mehr Lohn aufs Konto spült. So ein Betriebsrat ist das. Da braucht es keinen Schmusekurs. Da muss der Anwalt Schild und Schwert des AG und der leistungsorientierten Arbeitnehmerschaft sein. Das bin ich gern.

Es folgte dann noch einiges an weiterem Geplänkel, in dem sich der Anwalt dadurch auszeichnete, andere Sichtweisen auf das Thema „Konflikt zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat“ im höhnischen Ton abzuwerten und sie als nicht-themenbezogen (sic!) zu bezeichnen. Als hätte er mit der Richtung, die die Diskussion genommen hatte, nichts zu tun!

 

Wer jetzt die Diskussion auf die Feststellung, man müsse halt sorgfältig prüfen, ob der Anwalt zu einem passe, verkürzen möchte, der springt zu kurz und droht auch gleich noch in die Ähnlichkeitsfalle zu tappen:

Da unser Gehirn die wahrgenommene Realität nach Mustern scannt und wir nach Konsistenz in unserem Leben, also nach Bestätigung dessen, wer wir sind und wie wir uns verhalten, streben, reagieren wir positiv auf jede Form von Ähnlichkeit zwischen unserer Umwelt und uns selbst. Das sich dabei ausbreitende Wohlgefühl lässt uns dann nur leider sehr viel weniger scharfsinnig Aussagen auf ihre Richtigkeit und Handlungen auf ihre Folgen hin überprüfen. Auch diese „Liebe“ macht schlichtweg blind.

Mit der Folge, dass ein Anwalt, der uns durch verbale Aussagen und non-verbale Signale als sehr ähnlich erscheint, uns dann auch in unserer Sache als passend vorkommt. Das Problem dabei: wir treffen auf den Anwalt in einer besonderen Problemsituation, in der wir aufgrund des Problems zumindest unbewusst Zeichen von Ärger und auch Wut, Zorn usw. zeigen. Auf diese Signale wird sich der Anwalt einstellen, gleich, ob er besonders emphatisch mitfühlend oder schlicht nur geschickt ist. Kennt er diesen Effekt nicht und weiß er ihn (bzw. sich) nicht zu beherrschen, wird der Anwalt in diesem Moment zum Teil des Problemsystems, was ihn uns in der Folge nur noch symphatischer macht.

Damit sind es schon zwei, die das Problem haben. Dumm nur, dass der damit verbundene Problembewältigungsstress jetzt auch den Anwalt dumm macht, wo er uns doch als unbelasteter Aussenstehender aus unserer (leider ganz natürlichen) Problemstarre mit Tunnelblick, in der uns systembedingt nur Lösungsideen vom Typ „Mehr-vom-selben“ einfallen, mit frischen Ideen heraushelfen sollte. Nun ist jedoch die fatale Situation eingetreten, dass der Anwalt, wenn er ähnlich wie im obigen Beispiel (un-)bewusst mit Eigenem emotional involviert ist, nun seinerseits Lösungsideen produziert, die seinem ganz individuellen „Mehr-vom-selben“-Typus entsprechen, denn auch er bewegt sich jetzt unausweichlich in seinen bestehenden Wahrnehmungs- und Denkmustern.

Hier lauern zwei Gefahren: entweder merkt der Mandant nicht, dass der Anwalt „sein eigenes Ding macht“ oder beide schaukeln sich gegenseitig hoch und lassen die Folgen ihres Handeln außer acht. Mit allen negativen Folgen für den weiteren Konfliktverlauf, denn die Kräfte werden auch auf der Gegenseite entsprechend anwachsen.

 

Um dieser Falle zu entgehen, sollte daher bei der Auswahl eines Anwalts eine sorgfältige Prüfung anhand der folgenden Leitfragen erfolgen:

  • Wirkt die Persönlichkeit des Anwalts frei, offen, sicher, reif und positiv oder erscheint er eher gehemmt, verkniffen, unsicher, verschlagen, großspurig, hektisch, anbiedernd oder falsch? (Hören Sie hier auf Ihr Bauchgefühl!)
  • Wirkt er angstfrei und unabhängig oder will er den Auftrag „um jeden Preis“?
  • Zeigt der Anwalt im Gespräch sein „wahres Gesicht“ oder spiegelt er einen auf billige Weise? (Test: ein abstruses Hobby oder eine gewagte Aussage ausdenken, anbringen und abwarten, ob er darauf bestätigend einsteigt)
  • Zeigt der Anwalt eine unabhängige Meinung und widerspricht auch mal?
  • Fragt er neben den sachlichen und rechtlichen Fakten auch nach menschlich-emotionalen Bedürfnissen und Zielen? Gibt er sich mit den ersten Aussagen zufrieden oder hakt er vertiefend nach?
  • Fragt der Anwalt nach übergeordneten Werten und Zielen, die für den Mandanten und/oder im Betrieb gelten?
  • Betrachtet er bei seinen Lösungsvorschlägen neben den rechtlichen auch die menschlichen Folgen? Kann er auf Einwände spontan mit angepassten Ideen antworten oder „klebt“ er an seinem System?
  • Kann der Anwalt auch mit den Emotionen im Konflikt souverän umgehen? Geht er über Aussagen zu den Gefühlen der Beteiligten schnell hinweg und/oder bietet sofort praktisch-rechtliche Lösungen an?
  • Zeigt er eine respektvoll-wertschätzende Haltung auch gegenüber der Gegenseite?
  • Wie steht der Anwalt zu anderen Konfliktbearbeitungsmethoden wie Mediation und Schlichtung? Hat er da etwas anzubieten, falls man sich dafür entscheidet?

Damit ist das Thema jedoch noch nicht abgehandelt, haben wir doch an unserem Beispiel und unseren Ausführungen hier gesehen, dass es im Konfliktfall durchaus notwendig sein kann, bei der Gegenseite zwischen Mandant und vertretendem Rechtsanwalt zu unterscheiden. In der Praxis wird im Konflikt der vertretende Rechtsanwalt in aller Regel zumindest bei schriftlicher Kommunikation im Namen der Gegenseite sprechen. Je nach Absprachen und Berufsauffassung kann dies auch sehr intensiv bei mündlicher Kommunikation erfolgen.

In der Mediation wird zwischen Konfliktpartei und Stakeholder(n) unterschieden. Die Konfliktpartei ist dabei derjenige Beteiligte, welcher der den unmittelbaren bzw. ursprünglichen Konflikt mit der anderen Konfliktpartei hat bzw. erlebt. Mit Stakeholdern sind all jene erfasst, die durch den Konflikt etwas gewinnen oder verlieren können, ohne am eigentlichen Konfliktgeschehen unmittelbar beteiligt (gewesen) zu sein.

Nun dürfte ein vertretender Rechtsanwalt immer ein Stakeholder sein, es sei denn, er nutzt (wie im obigen Beispiel zu befürchten) den Grundkonflikt, um eine eigene Konfliktlinie aufzubauen. In jedem Fall macht es jedoch die gängige Praxis den Konfliktparteien schwer, auf der Gegenseite (dieser Begriff includiert im allgemeinen Gebrauch Mandanten und Rechtsanwalt) zwischen Partei und Stakeholder zu unterscheiden.

Diese Unterscheidung ist jedoch eine wesentliche Voraussetzung dafür, um eine erfolgreiche kooperative oder konfrontative Strategie entwickeln zu können. Wenn die zur Schau gestellte Position der Gegenseite als Oberfläche nicht erkennen lässt, welche Kräfte sie auf welche Weise in welchem Verhältnis  zustande gebracht haben, ist es quasi unmöglich, angemessene und angepasste Vorgehensweisen für die daran Beteiligten zu finden. Entweder, es werden keine tragfähigen Lösungen gefunden, weil sich immer einer der Beteiligten unverstanden oder nicht ausreichend berücksichtigt fühlt (wie soll man das auch leisten, wenn die beteiligten Menschen nicht erkennbar sind), oder die strategisch eingesetzten rechtlichen wie kommunikatorischen Mittel führen nicht zum Erfolg, weil auf ein diffuses Ziel geschossen wird.

Unabhängig davon, welche Art der Konfliktbearbeitung man für sich gewählt hat, sollte immer die Gegenseite eingehend analysiert werden, um ihre Bestandteile und deren Wissen, Sichtweisen, Interessen und Bedürfnisse herauszuarbeiten. Dazu sind geeignet:

  • Hintergrundgespräche (Partei zu Partei, Anwalt zu Anwalt)
  • Vorher-nachher-Vergleich (ohne Anwalt – mit Anwalt)
  • Befragung anderer Anwälte, die mit dem Anwalt der Gegenseite schon mal zu tun hatten
  • Textanalyse: wer sagt/schreibt was zum gleichen Sachverhalt?
  • Einfühlungslisten:
    • Ich, Mandat, fühle/befürchte/wünsche…
    • Ich, Anwalt, fühle/befürchte/wünsche…
  • Versuchsballons:
    • Boden entziehen: einen Lösungsversuch ohne Anwälte anbieten; inhaltliche Verhandlungen auf anwaltlicher Ebene durchführen
    • Separieren: mit Partei nur praktische Fragen, mit Anwalt nur rechtliche Fragen erörtern
    • Provozieren: dem gegnerischen Anwalt eine grundsätzlich feindliche Einstellung unterstellen; der gegnerischen Partei Unwissenheit, Angst und fehlendes Selbstvertrauen unterstellen
    • Methode wechseln: eine Konfliktbearbeitung ohne Anwälte, dafür mit Mediator/Schlichter vorschlagen
    • Ebene wechseln: Wie war es ohne Anwälte? Wie wird es wohl mit Anwälten verlaufen? Was könnte schlimmstenfalls, was bestenfalls mit Anwälten passieren? Was könnte schlimmstenfalls, was bestenfalls ohne Anwälte passieren? Welche mittel- und langfristigen Auswirkungen wird es wohl haben, wenn wir so weitermachen, wie bisher?
    • Stunde der Wahrheit: Sie, Herr Anwalt, wollen Geld. Sie, Partei, wollen eine Lösung. Worüber wollen wir reden? … Aha. Das bedeutet Folgendes für unser weiteres Gespräch:…

 

Fazit: Auch offenkundig rein rechtliche Konfliktaustragungen werden durch dahinterliegende Gefühle motiviert. Dies gilt sowohl für den Mandanten wie auch den vertretenden Anwalt (wenn auch in hoffentlich weitaus geringerem Maße!). Ist man als Mandant langfristig eher an Deeskalation interessiert, muss der Aspekt der sozialen Kompetenz bei der Auswahl des geeigneten Anwalts eine wichtige Rolle spielen.

 

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