Mitarbeiterbefragung, 4. Teil: Systematisch zu den richtigen Maßnahmen kommen

von Mediator und Coach Sebastian Schoberansky

 

Wie in den vorherigen Teilen (I, II, III) unserer Serie aufgezeigt, kann es viele verdeckte Gründe dafür geben, die Mitarbeiter zu befragen. Es ist erhebliches Misstrauen angebracht, die vordergründig genannten Motive und Ziele als alleinige und tatsächliche Gründe anzunehmen. Besteht der begründete Verdacht auf Beimischung verdeckter Gründe, so sollte der Einsatz einer Befragung kritisch überdacht werden, denn schließlich werden die ursprünglichen Probleme nicht gelöst und es besteht die Gefahr, dass neue Probleme entstehen.  

Auch wenn sich der Betriebsrat seiner hehren Motive und Ziele sicher ist, kann eine beständige kritische Selbstbefragung anhand der folgenden Leitfragen dabei helfen, Fehler durch blinde Flecke zu vermeiden:

 

Grundfrage I: Welche Situation oder welches Verhalten von wem hat den Wunsch nach einer Umfrage entstehen lassen? Das Betriebsverfassungsgesetz stellt dem Betriebsrat bestimmte Werkzeuge zur Erreichung seiner Ziele zur Verfügung. Die Meinungsumfrage gehört per se nicht dazu. Der Betriebsrat muss also im Verlauf seiner Bemühungen zu einem Punkt gekommen sein, an dem für ihn der Eindruck entstanden ist, dass er seine Vorstellungen mit den ihm vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellten Mitteln nicht durch- oder umsetzen kann. Daraus ergeben sich zwei weitere grundlegende Fragestellungen:

Gehört das angestrebte Ziel zu den gesetzlichen Aufgaben des Betriebsrats? Die Aufgaben des Betriebsrats werden vom Gesetz recht klar definiert, in dem dort gesteckten Rahmen ist er weitgehend frei darin, wie er seine Aufgaben wahrnimmt und wie er sie inhaltlich im einzelnen ausgestaltet. Informationen sind dabei eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass der Betriebsrat seine Aufgaben sachgerecht wahrnehmen kann. Insofern billigt ihm §80 (2) BetrVG einen umfassenden Informationsanspruch zu, der jedoch immer in einem engen Bezug zu seinen gesetzlichen Aufgaben stehen muss, sonst läuft sein Ansinnen ins Leere. Reine Neugier oder gar individuelles Interesse an den Informationen ist daher keine Aufgabe des Betriebsrats.

Mit den abgestuften Beteiligungsrechten kann der Betriebsrat in unterschiedlichem Umfang Einfluss auf die Entscheidungen des Arbeitgebers nehmen. Insofern schränken diese Rechte die Freiheit des Arbeitgebers ein. Die jeweilige Reichweite des genannten Beteiligungsrechtes bestimmt damit auch die Grenze des Einflusses des Betriebsrats auf den Arbeitgeber und seine Entscheidungen. Es kann daher sein, dass sich eine vom Betriebsrat als problematisch empfundene Situation entweder gar nicht erst unter einen der gesetzlich definierten Bereiche subsumieren lässt oder dass die dortige Beschränkung der Beteiligung des Betriebsrats letztlich dazu führt, dass der faktische Einfluss gegen Null strebt. Gleichwohl ist der Betriebsrat nicht berechtigt, durch einseitige Handlungen in den Betriebsablauf einzugreifen, der Betrieb wird weiterhin vom Arbeitgeber und nur von diesem geleitet. Unternehmerische Entscheidungen, die jenseits der Beteiligungsbereiche liegen, muss der Betriebsrat zunächst einmal hinnehmen, auch wenn sie seine Missbilligung erfahren. Es ist daher auch keine Aufgabe des Betriebsrat, die Belegschaft vor den missbilligten Entscheidungen des Arbeitgebers zu retten.

Fazit I: Gehört ein Problembereich nicht zum Aufgabenbereich des Betriebsrats, besteht auch kein Anspruch, sich diesem Problembereich dennoch zu widmen. Der Betriebsrat setzt sich hier dem Risiko arbeitsvertraglicher Sanktionen bis hin zur Kündigung aus, da er in unzulässiger Weise Arbeitsbefreiung in Anspruch nimmt.

 

Welche Beteiligungsrechte wurden bisher mit welchem Erfolg eingesetzt? Das Gesetz stellt immer eine Verbindung zwischen dem Aufgabenbereich und einem bestimmten Beteiligungsrecht her. Neben der Frage, ob das vorgesehene Beteiligungsrecht überhaupt effektiv realisiert bzw. die Realisierung effektiv durchgesetzt wurde, kann es sinnvoll sein, die Anwendungsmöglichkeit stärkerer Rechte zu konstruieren, um effektivere Durchsetzungsmöglichkeiten in einem Bereich mit schwachen Beteiligungsrechten ggf. auf Umwegen zu generieren.

Fazit II: Das Fehlen oder den fehlenden effektiven Einsatz eines starken Beteiligungsrechtes kann eine Umfrage nicht aufwiegen, da nach Gewinnung der Informationen die Grundproblematik nicht aufgelöst ist.

 

Grundfrage II: Welche Funktion soll die Umfrage für den Betriebsrat haben? Hier können vier Bereiche voneinander unterschieden werden:

Die Durchführung der Umfrage ist das Werkzeug. Durch die Beschäftigung mit den Fragen entsteht eine Irritation bei den Beschäftigten, die Veränderungen des Bisherigen mit sich bringt. Es wird angestrebt, dass die Fragen Problembewusstsein bis hin zu offener Kritik auslösen. Dadurch kann der vom Betriebsrat gewünschte Druck auf den Arbeitgeber entstehen.

Um diesen Zweck zu erreichen, müssen die Fragen ausreichend tendenziös formuliert sein. Dies birgt die Gefahr der Entlarvung. Da das Ergebnis der Umfrage selbst nebensächlich ist, muss dafür gesorgt werden, dass anschließend niemand mehr nach Ergebnis oder Umsetzung in Handlungen fragt. Eine solche Umfrage kann nur erfolgreich eingesetzt werden, wenn der Druck auf den Arbeitgeber durch den Betriebsrat ohnehin schon sehr groß ist und es eines letzten Stoßes bedarf.

Die Umfrage verschafft Werkzeuge. Um seine Position besser mit Argumenten untermauern und sich letztlich besser durchsetzen zu können, sollen entweder neue oder bessere Argumente oder aber überhaupt eine Legitimationsgrundlage durch die Umfrage geschaffen werden.

Da das Ergebnis der Umfrage schon vorher klar sein muss, müssen auch hier die Fragen entsprechend tendenziös formuliert und ausgewählt sein. Allerdings braucht der Betriebsrat eine solche Umfrage nur dann, wenn sein vorrangiges Beteiligungsrecht so schwach ist, dass er die „Schützenhilfe“ einer breiteren Machtbasis braucht. Die Wirkung wird aus der Mischung aus rational-logischen Argumenten und der größeren Masse erzielt.

In den meisten Fällen verschafft das Gesetz dem Betriebsrat jedoch eine ausreichende Legitimationsgrundlage und Machtposition: besteht ein gesetzliches Beteiligungsrecht, ist dies Anlass genug, dass der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat auf Augenhöhe verhandelt; der Betriebsrat übt sein Mandat repräsentativ aus, d.h., er kann selbst entscheiden, wie er seine Rechte inhaltlich wahrnimmt. Er muss sich nicht rechtfertigen, ob seine Position auch von einer ausreichend Zahl an Mitarbeitern unterstützt wird. Der Betriebsrat darf also gern mit der Haltung „Weil ich es kann und weil ich es will.“ gegenüber dem Arbeitgeber auftreten.

Die Umfrage verschafft Aufgaben. Im Betriebsrat herrscht Unklarheit über seine Ziele, Unkenntnis über seine Aufgaben und Unsicherheit über die Nutzung seiner Rechte zur Zielerreichung.

Das Ergebnis der Umfrage soll die Marschroute für den Betriebsrat ergeben, die eigene Entscheidungs- und Durchsetzungsschwäche wird durch den (vermeintlichen) Rückhalt aus der Belegschaft kaschiert. Selten ist das Ergebnis einer solchen Umfrage derart klar, als dass es geeignet wäre, grundlegende Defizite beim Betriebsrat auszugleichen. Schließlich muss der Betriebsrat weiterhin zu Entscheidungen kommen und sich durchsetzen.

Die Legitimationsgrundlage bleibt weiterhin das repräsentative Mandat zur Nutzung der betriebsverfassungsrechtlichen Rechte. Besteht ein Recht, ist dies Grundlage genug, dass der Betriebsrat aus sich selbst heraus handelt. Schließlich kennt er die Möglichkeiten und Grenzen seines Amtes besser als die Belegschaft, dürfte also deutlich weniger zu überzogenen Erwartungen neigen. Fehlen Informationen, können diese auch auf anderem Wege so gewonnen werden, dass bei der Belegschaft nicht der Eindruck entsteht, man könne (oder müsse?) dem Betriebsrat Vorgaben machen, wie und wofür er zu handeln habe.

Die Umfrage verschafft Informationen für Beteiligungsrechte. Um bei einem beteiligungspflichtigen Gegenstand zu einer Meinung kommen zu können, benötigt der Betriebsrat noch weitere Informationen.

Grundsätzlich ist der Arbeitgeber dazu verpflichtet, dem Betriebsrat alle erforderlichen Informationen zu Verfügung zu stellen. Betriebsverfassungsgesetz wie auch andere Gesetzte erteilen hier klar den Handlungsauftrag an den Arbeitgeber. Bei berechtigterweise fehlenden Informationen ist der Arbeitgeber also immer der erste Ansprechpartner für den Betriebsrat. Verlangt der Betriebsrat Informationen, für die er keine Berechtigungsgrundlage hat, braucht der Arbeitgeber nicht zu informieren. Beschafft der Betriebsrat solche Informationen selbst, überschreitet er ggf. seine Befugnisse.

Eine Umfrage dürfte sich also auf die Erhebung eines Meinungsbildes in der Belegschaft zu einer beteiligungspflichtigen Angelegenheit beschränken. Dafür muss jedoch der Gegenstand hinreichend präzise definiert und die Fragen müssen so gestellt werden, dass der Betriebsrat anschließend genau weiß, was er zu tun hat. Sind die Fragen zu ergebnisoffen gestellt, bekommt der Betriebsrat zwar einen Eindruck, muss aber am Ende doch wieder selbst auswählen und entscheiden, welche Lösungsoption er favorisiert.

 

Nachdem sich bis hier der Betriebsrat eher mit sich selbst beschäftigt hat, wenden wir uns morgen den Auswirkungen auf die Umwelt des Betriebsrats zu.

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