Mitarbeiterbefragung, 5. Teil: Systematisch zu den richtigen Maßnahmen kommen

von Mediator und Coach Sebastian Schoberansky

Letzter Teil unserer Serie. Die vorangegangenen Teile können Sie hier nachlesen: Teil I (verdeckte Gründe des BR, I), Teil II (verdeckte Gründe des BR, II), Teil III (problematische Gründe aus Arbeitgebersicht), Teil IV (systematisches Vorgehen, I)

Nachdem nun die Grundfragen im eigenen Bereich geklärt wurden, muss sich der Betriebsrat zwingend darum kümmern, welche Auswirkungen die Umfrage auf Belegschaft und Arbeitgeber sowie auf die Beziehungen zwischen den Beteiligten hat. Diesen Überlegungen liegen zwei wichtige Grundannahmen zugrunde:

Der Empfänger macht die Botschaft (ich habe als Betriebsrat nur wenig Einfluss darauf, was die Mitarbeiter aus meiner Umfrage über den reinen Sachinhalt hinaus noch machen).

In einem System hat alles eine Wirkung (ich kann als Betriebsrat nicht davon ausgehen, das meine Umfrage nur die von mir gewünschte Wirkung auf den von mir ausgewählten Personenkreis hat).   

Mit diesem Teil und diesem aus unserer Sicht wichtigsten Fragenkomplex endet dann unsere Serie.

 

Grundfrage III: Sind die Auswirkungen der Umfrage bedacht worden?

Wie jede Information erzeugen auch Umfragen Wirkungen beim Rezipienten. Art und Inhalt der Fragen können Emotionen auslösen, die mit der eigentlich intendierten Beantwortung kaum noch etwas zu tun haben. Verschärfend kommt hinzu, dass die Haltung gegenüber dem Betriebsrat bei den Mitarbeitern selten völlig neutral ist. Die Fragen werden also immer in dem Bewusstsein gelesen, dass sie vom Betriebsrat stammen.

Wie werden die einzelnen Haltungsgruppen reagieren? Meist sind drei Haupthaltungen gegenüber dem Betriebsrat zu beobachten: pro Betriebsrat, contra Betriebsrat, Betriebsrat ist egal. Die Gruppe „Betriebsrat ist egal“ ist noch aufzuteilen in eine Gruppe „arbeitgeber-kritisch“ und eine Gruppe „arbeitgeber-freundlich“.

Um die Gruppe „pro Betriebsrat“ braucht sich der Betriebsrat bei der Umfrage kaum zu kümmern. Einzig die Frage, ob er mit seiner Umfrage Vertrauen und Wohlwollen seiner Anhänger ggf. überstrapaziert, müsste beachtet werden.

Für die Gruppe „contra Betriebsrat“ besteht die Gefahr, dass sich diese aufgrund ihrer vorrangigen Wahrnehmungsweise des Betriebsrats in ihrer bisherigen Haltung bestätigt sieht und es nicht nur noch schwieriger wird, sie für sich zu gewinnen, sondern dass dort eine erhebliche Energie für Ablehnung und Gegenwehr entsteht, die auch Mitglieder anderer Gruppen anzustecken droht.

In der Gruppe „Betriebsrat ist egal“ könnte der Betriebsrat am meisten gewinnen, wenn er dort das Vertrauen in die Sinnhaftigkeit seiner Existenz und seiner Handlungen ausbaute. Die Mitglieder dieser Gruppe sorgen nämlich aus verschiedenen Gründen lieber für sich selbst und misstrauen daher eher der Institution Betriebsrat. Es besteht die Gefahr, dass die Umfrage als lästig und den eigenen Interessen zuwiderlaufend empfunden wird.

 

Wie soll mit geweckten Erwartungen umgegangen werden? Die effektive Reichweite der Beteiligungsrechte des Betriebsrats ist begrenzt. Die jeweilige Begrenzung und ihre faktischen Auswirkungen sind jedoch den meisten Mitarbeitern nicht bekannt oder bewusst. Es kann also bei unklarer Definition der erreichbaren Ziele des Betriebsrats schnell zu unrealistischen Hoffnungen und Erwartungen kommen, die der Betriebsrat hinterher zwangsläufig enttäuschen muss. Solche Enttäuschungen würden auch den Rückhalt im Lager „pro Betriebsrat“ schädigen.

Sollen Erwartungen bedämpft werden, muss der Betriebsrat darauf hinweisen, was er erreichen kann und was nicht. Dies kann jedoch nun wieder dazu führen, dass es für die einzelnen Mitarbeiter unattraktiv wird, sich an der Umfrage zu beteiligen.

 

Können die gewonnenen Informationen in konkrete Ergebnisse umgewandelt werden? Wenn man einmal Informationen hat, dann muss man leider auch irgendwie damit umgehen. Je nach Umfang und Variabilität der gewonnenen Informationen können erhebliche Schwierigkeiten bei dem Versuch entstehen, diese nicht nur in konkret erreichte Ziele zu verwandeln, sondern sie überhaupt ersteinmal in Lösungsoptionen einzubauen, die möglichst vielen Interessen und Bedürfnissen gerecht werden können.

Da es die perfekte Lösung für alle nicht geben kann, stellt sich die Frage, ob nicht im Sinne der Komplexitätsreduktion weniger mehr ist, also der Betriebsrat nur grundlegende oder wenige detailbezogene Informationen erhebt oder ggf. ganz auf die Umfrage verzichtet.

Wird die Arbeit des Betriebsrats wirklich erleichtert oder verbessert? Viele Informationen machen sicher viel mehr Arbeit. Unsicher ist meist, ob dadurch die eigentliche Arbeit an Problemlösungen erleichtert oder verbessert wird. Ein zuviel an Information kann auch dazu führen, dass der Betriebsrat in Problemstarre verfällt, da der Blick selbst auf naheliegende Lösungen versperrt wird.

 

Werden Qualität und Quantität der erreichbaren Ziele maßgeblich verbessert? Selten erzeugen die Informationen einen entscheidenden Erkenntnisgewinn. Meist bestätigen sie, was ohnehin schon (intuitiv) gewusst wird.

 

Wie valide sind die gewonnenen Informationen?  Nachrichten werden immer auch auf den Empfänger der Nachricht abgestimmt. Die Tatsache, dass die Umfrage vom Betriebsrat durchgeführt wird, wird sicher andere Antworten hervorbringen, als wenn sie vom Arbeitgeber oder einem externen Dritten durchgeführt werden würde. Selbst wenn der Betriebsrat über professionelle Kenntnisse zur Meinungsforschung bzw. Fragebogendesign besitzt, so wird er eine Einfärbung selbst durch entsprechende Kontrollfragen niemals vermeiden können.

 

Wie steht der Betriebsrat nach der Umfrageaktion da? Die Reaktionen auf die Umfrage können nur schwer kontrolliert werden. Ist dem Betriebsrat die Wahrnehmung durch die Mitarbeiter nicht egal, wird er vor der Frage stehen, ob er einen etwaigen Imageschaden in Kauf nehmen will. Kann der Betriebsrat die geweckten Erwartungen nicht erfüllen, wird sich der Unmut der Belegschaft vorrangig gegen ihn richten, auch wenn der Grund für den Misserfolg beim Arbeitgeber oder im Gesetz liegt.

 

Wie steht der Betrieb nach der Umfrageaktion da? Besteht im Betrieb latentes Konfliktpotential aufgrund von Unzufriedenheit, so kann die Explizierung durch eine Umfrage zu erheblicher Unruhe innerhalb der Belegschaft führen.

 

Wie wird sich das Verhältnis zum Arbeitgeber verändern? Wird die Umfrage nicht mit dem Arbeitgeber abgesprochen, so könnte er dies als Akt des Misstrauens und Eindringens in seinen Hoheitsbereich empfinden. Der damit einhergehende Gesichtsverlust führt meist zu erheblicher Gegenwehr.

Wird die Umfrage gemeinsam durchgeführt, so ist darauf zu achten, dass sowohl Erfolge wie auch Misserfolge bei der Zielerreichung gemeinsam kommuniziert werden.

Welche Mittel und Wege zur Zielerreichung könnten noch genutzt werden? Frei nach Einsteins „Problemspace is not solutionspace“ geht es hier darum, nicht-lineare Lösungsideen zu entwickeln. Dazu kann im Rahmen eines Brainstormings inner- und außerhalb des Betriebsverfassungsgesetzes nach Ideen jenseits der ersten spontanen Äußerungen gesucht werden. Hier ist mehr tatsächlich mehr und es sollten zunächsteinmal alle Ideen festgehalten werden, um sie später weiter zu diskutieren.

 

Wie und durch wen könnten die Informationen noch gewonnen werden? Andere Veranstaltungen zur Befragung der Mitarbeiter mögen zwar weniger strukturiert und systematisch sein, haben aber den unschlagbaren Vorteil des direkten menschlichen Kontakts mit der Möglichkeit, Nachfragen zu stellen und Vertrauen aufzubauen. Und sollten Qualität und Neutralität der Informationen im Vordergrund stehen, bietet sich die Durchführung durch einen neutralen Dritten an.

 

Fazit: Das Betriebsverfassungsgesetz bietet bereits etliche Möglichkeiten für den Betriebsrat, um an Informationen zu kommen. Gleichzeitig beschränkt es den Rahmen der Informationsgewinnung auf die beteiligungspflichtigen Angelegenheiten. Im Rahmen von Arbeitsgruppen nach §28a BetrVG können sich die Arbeitnehmer direkt an beteiligungspflichtigen Angelegenheiten beteiligen, wenn die vorgeschriebene Rahmenvereinbarung mit dem Arbeitgeber zustande kommt.

Der betriebsverfassungsrechtliche Rahmen für mehr Mitarbeiterbeteiligung sollte daher zunächst einmal ausgeschöpft werden, bevor andere Beteiligungsformen in Erwägung gezogen werden. Die bestehenden Möglichkeiten können durchaus als angemessen bezeichnet werden.

Gleichwohl kann es erforderlich sein, die Kommunikation zwischen Betriebsrat und Belegschaft zu verbessern und über den Standardrahmen des Gesetzes (Betriebsversammlung, Sprechstunde, Betriebsbegehung) hinauszugehen. Gerade die neuen Möglichkeiten, die moderne Social Media bieten, lassen durch ihr dialogisches Format viele wichtige Informationen gewinnen und gleichzeitig die unerwünschten Nebenwirkungen plötzlicher und hochoffizieller Umfragen vermeiden.

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