Krankmeldung: Schädliches Geschrei in den Medien

von Mediator und Coach Sebastian Schoberansky

In der Welt der Arbeit kursieren trotz aller Aufklärung einige sich hartnäckig haltende Gerüchte und Märchen. Dazu gehört zum Beispiel die Mär, dass man nach mehreren Abmahnungen automatisch gekündigt werde oder dass man bei Rückruf aus dem Urlaub automatisch zurückkommen müsse. Die Schlagzeilen der vorvergangenen Woche zum Thema „Krankmeldung“ lassen vermuten, dass auch hier der Aberglaube weit verbreitet ist. 

Was war der Anlass? Das Bundesarbeitsgericht BAG hatte am 14. November (5 AZR 886/11, Pressemeldung) über den Fall einer Redakteurin zu entscheiden, von der der Arbeitgeber verlangt hatte, ihre Krankmeldung (eigentlich: Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung AUB) künftig schon am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit einzuholen und vorzulegen. Die Arbeitnehmerin sah für dieses Ansinnen keine sachliche Rechtfertigung und darin eine Verletzung des „allgemeinen arbeitsrechtlichen Schikaneverbots“.

Das Urteil des BAG führte zu einem Rauschen im deutschen Blätterwald, dessen Klang doch recht bemerkenswert ist. So titelte z.B. die Hamburger Morgenpost mit fetten Lettern „Blaumachern geht´s an den Kragen„. Spiegel online sekundierte mit „Dieses Urteil könnte jeden Arbeitnehmer betreffen„, die (noch existierende) Financial Times Deutschland FTD stieß mit „Urteil des Bundesarbeitsgerichts: Wie kranke Mitarbeiter die Wirtschaft treffen“ ins bis zum Verdruß bekannte Horn. Wie es schien, musste das BAG wohl auf eine deutlich arbeitnehmerfeindlichere Linie eingeschwenkt sein.

Doch wer die Pressemeldung mit dem Gesetzestext (§5 (1) Entgeltfortzahlungsgesetz) und den einschlägigen Kommentaren verglich, konnte nur zu einem Ergebnis kommen: aus Erfurt nichts Neues!

Im Prinzip hat das BAG nur bestätigt, was schon vorher bekannt war, weil es schlicht dem Gesetzestext entspricht: Die AUB ist spätestens am auf den dem dritten KALENDERtag der fortdauernden Erkrankung folgenden individuellen ARBEITStag vorzulegen, der Arbeitgeber kann die Vorlage der AUB auch schon früher verlangen. Unabhängig davon besteht die Pflicht für den Arbeitnehmer, die Arbeitsunfähigkeit unverzüglich, möglichst vor Arbeitsbeginn dem Arbeitgeber (bzw. einem vom Arbeitgeber autorisierten Arbeitnehmer) mitzuteilen.

Die vom Gesetzestext abweichende Verkürzung kann auf individualrechtlichem Wege durch den Arbeitsvertrag oder eine Weisung, auf kollektivrechtlichem Wege durch eine freiwillige Betriebsvereinbarung oder einen geltenden Tarifvertrag erfolgen. Will der Arbeitgeber eine generelle Verkürzung für alle Arbeitnehmer (oder eine abgrenzbare Gruppe darunter) erreichen, braucht er dafür die Zustimmung des Betriebsrates nach §87 (1) Nr.1 BetrVG. Besteht eine abschließende Regelung zu diesem Thema in einem geltenden Tarifvertrag, kann davon weder durch Betriebsvereinbarung noch durch Arbeitsvertrag/Weisung zu Ungunsten des Arbeitnehmers davon abgewichen werden.

Offenkundig sah sich das BAG auch dazu aufgefordert, dem Märchen, dass die Verkürzung der Vorlagefrist begründet sein müsse, entgegen zu treten, denn es weist in seiner Presseerklärung insbesondere darauf hin, dass ein begründeter Verdacht nicht vorliegen müsse. Diesem Märchen schienen auch die Medien aufgesessen zu sein, denn sie stellten dies als neue Möglichkeiten für den Arbeitgeber heraus.

Besonders interessant: Wer die Artikel bis zum Ende liest, wird feststellen, dass sich sogar die Publikation aus dem Springer-Verlag im weiteren Verlauf um sachliche Informationen bemüht. Den größten Bogen schlägt die FTD: nach einem Aufmacher und Anfangsteil mit klar arbeitgeberfreundlicher bzw. arbeitnehmerkritischer Tendenz findet sie zu erstaunlich differenzierenden Beiträgen im Schlussteil, die die Situation der Arbeitnehmer nach der lautstark betriebenen Zuweisung der Rolle des Bösen in einem ganz anderen Licht erkennbar macht.

Was soll also bloß diese Stimmungsmache ohne echten Anlass?

Anscheinend ist den verantwortlichen (und irgendwie verantwortungslosen) Journalisten nicht klar, dass sie die ohnehin teilweise sehr schwierige Situation (hier, hier und hier) in den Betrieben zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgeber nur noch weiter verschärfen, wenn sie Misstrauen säen und Angst schüren. Diejenigen unter den Betriebspartnern, die auf Kooperation und vertrauensvolle Zusammenarbeit setzen, werden sich jedenfalls herzlich bedanken, dass durch reißerische Schlagzeilen ihre Arbeit an einem produktiven Arbeitsklima erschwert wird (denn die Schlagzeilen bleiben haften, während die moderaten Textteile meist gar nicht gelesen werden).

Was soll dieser teils implizit, teils offen ausgesprochene Generalverdacht gegen Arbeitnehmer? Gilt nicht auch hier der alte und gute Grundsatz der Unschuldsvermutung, auf den sich Arbeitnehmer, Arbeitgeber wie auch Journalisten im Zweifel berufen würden?

Was soll es bringen, Untersuchungen zu zitieren, nach denen eine Zahl an Arbeitnehmern gerade in Herbst und Winter über „Krankfeiern“ nachdenkt, ohne gleichzeitig Angaben darüber zu machen, wieviele Arbeitnehmer sich wider besseren Wissens und gegen Expertenempfehlungen trotz einer Erkrankung zur Arbeit schleppen? Um dann weiter hinten über die Risiken und Kosten zu schreiben, die dadurch entstehen, wenn Arbeitnehmer trotz (ansteckender!) Erkrankung dennoch zur Arbeit kommen. Ja, wie denn nun?!

Sicher gibt es immer und überall eine Zahl an „schwarzen Schafen“, die die Segnungen unseres Sozialstaates über Gebühr ausnutzen, doch gegen ein solches unerwünschtes Verhalten ausschließlich mit repressiven Maßnahmen und Stigmatisierung vorzugehen, zieht auch die ehrlichen Kranken und Gesunden in Mitleidenschaft, da es zumindest den gefühlten Druck erhöht. Damit wird jedoch nur der Boden für weitere der rasant in der Arbeitswelt um sich greifenden inneren Kündigungen bis hin zu psychischen Erkrankungen wie Depressionen bereitet. Es wird also hinten sicher eingerissen, was vorne nur eventuell aufgebaut wird, wenn die Nachweisfrist verkürzt wird.

Verantwortungsvolle weil langfristige Folgen beachtende Betriebspartner fahren also mit Maßnahmen der Prävention für physische wie psychische Gesundheit sicher besser. Und mit einfühlsamen akuten Maßnahmen für all jene, die das übliche Klischee bedienen, denn wenn schon nicht tatsächlich eine ernsthafte, aber bisher unbekannte Belastung dahinter steckt, so zeigt die Erfahrung, dass es manchmal ganz lapidare, aber dafür für den Einzelnen umso gravierende Faktoren sind, denen man oft mit ganz einfachen Maßnahmen abhelfen kann.

Wer es sich beim Thema Krankheit so einfach macht, es wie von den Medien suggeriert auf das Krankmeldeverfahren zu reduzieren, vergibt auch die Chance, über und für seinen Betrieb etwas zu lernen.

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