Das Geschrei um die Piraten schadet auch den Betrieben.

von Mediator und Coach Sebastian Schoberansky

 

Mit dem Einzug der Piraten-Partei ins Landesparlament von Schleswig-Holstein wird auch der Ton der Auseinandersetzung von Medien und politischen Wettbewerbern mit der neuen Partei zunehmend genervter. Nach der Wahl im Saarland fragte z.B. eine deutlich unfreundliche Bettina Schausten den Vertreter der Piraten, ob er denn Politik überhaupt könne. Und bei Günther Jauch forderte FDP-Kandidat Christian Lindner das Ende des „Welpenschutzes“, assistiert von der genervten Renate Künast (Grüne), die endlich von den Piraten weg hin zu den Inhalten wollte. 

Während einige Kommentatoren neugierig darauf sind, welchen Einfluss die Piraten auf die Form unserer Demokratie haben könnten, scheinen sich etliche der etablierten Mitspieler darin einig, dass man Politik so nicht machen könne. Dieser Beitrag wird sich mit der Frage auseinandersetzen, ob ein solcher Umgang mit Neuem auch Auswirkungen über den politischen Betrieb hinaus bis hinein in die Unternehmen und Betriebe haben kann.

Zunächst stellt sich die Frage, ob es die eine einzige und wirklich wahre Art Politik zu machen überhaupt gibt. Sicher nicht, da eine allgemein-gültige Definition des Berufsbildes „Politiker“ nicht existiert und selbst innerhalb der etablierten Parteien sehr unterschiedliche Stile und Vorgehensweisen erkennbar sind. Insofern dürfte es schwierig sein, einen professionellen von einem unprofessionellen, einen Anfänger von einem fortgeschrittenen Politiker anhand von objektiven Kriterien zu unterscheiden. Es ist wohl eher so, dass wir Wähler einen bestimmten Habitus und bestimmte Vorgehensweisen als politikgemäß empfinden, so sehr viele davon auch genervt sein mögen. Entsprechende Vorhaltungen der fehlenden Professionalität laufen also ins Leere und es stellt sich vielmehr die Frage, welche Auswirkungen es hat, wenn sich die Altvorderen die alleinige Deutungshoheit zumessen bzw. wir aus reiner Gewohnheit ein tradiertes Bild als allein gültig definieren. Meine Vermutung: Quereinsteiger werden es weiter schwer haben, die Experten bleiben unter sich und „schmoren im eigenen Saft“. Frischer Wind Fehlanzeige!

Sind es die Inhalte, die den beachtlichen Wählerzuspruch quer durch die politischen Lager erklären können? Gute Frage, aber leider die falsche Frage. Zum einen kennen die wenigsten Wähler die Inhalte der Wahlprogramme der von ihnen favorisierten Parteien wirklich, zum anderen ringen die Piraten derzeit noch um ein breit aufgestelltes Parteiprogramm. Das Feld ist also diffus, der gemeine Wähler wird sich bei seiner Entscheidung eher von einer Ahnung leiten lassen, wofür eine Partei wohl stehen könnte.

Könnte es daher sein, dass sich die Wähler der Piraten, unter denen anscheinend viele Politikverdrossene und ehemalige Nichtwähler sind, gar nicht so sehr von „vernünftig-rationalen“, weil an harten Fakten und Inhalten orientierten Gründen leiten lassen, sondern dass es auch und gerade um den Politikstil, um die Denk- und Herangehensweise, um die Haltung geht? Dass die Art des Prozesses wichtiger ist als die sichere Basis festgefügter Überzeugungen?

Wenn diese Deutung wenigstens in einigen Bereichen zutrifft, so geht vom derzeitigen leicht überheblichen Umgang mit den Piraten ein fatales Signal in unsere Gesellschaft und damit auch in die Betriebe aus. Sicher: Wir brauchen hochqualifizierte Mitspieler in allen Teilen unserer Gesellschaft. Wir können es uns aber als angebliche Wissensgesellschaft nicht leisten, die Quer- und Andersdenkenden abzuqualifizieren und nicht ernst zu nehmen. Diese erfüllen eine wichtige, wenn auch meist unbequeme Funktion, denn sie stellen regelmäßig das Bisherige, das (scheinbar!) Sichere und Gewisse in Frage und drohen uns aus unserer Komfortzone (Stichwort „Fachidioten“) heraus zu befördern.

Kreativität zur Entwicklung von Neuem braucht neben Stressfreiheit auch eine gehörige Portion Non-Konformismus (Funke, 2000) . Letzteres scheinen die Piraten zu haben und es bleibt zu hoffen, dass ihnen der Politikbetrieb nicht die gleiche Stromlinienförmigkeit aufzwingt, wie sie bei allen Parteien und fast allen ihrer Vertreter zu beobachten ist. Ihre Stressfreiheit und fast kindliche Neugier und Lernfreude wünschte man in erheblichen Dosen auch den Etablierten.

Der Vorwurf von Christian Lindner, man könne sich im Wahlprogramm nicht einfach einen Wunschzettel zusammenschreiben, ohne sich Gedanken über die Finanzierung zu machen, weist auf ein grundlegendes Problem hin: Ein ebenso einfaches wie wirkungsvolles Tool im Coaching ist das „Disney-Konzept„. Dabei wird ein Thema aus drei verschiedenen Perspektiven betrachtet: aus der des Visionärs, des Kritikers und des Realisten. Walt Disney soll dazu jeweils in einen anderen Sessel gewechselt haben, um die verschiedenen Rollen klar zu trennen. Aus gutem Grund: in der Praxis erleben wir es immer wieder, wenn wir Teilnehmer auffordern, ihren Ideen, Wünschen und Bedürfnissen freien Lauf zu lassen, dass ohne Hilfestellung sehr wenig „kommt“. Stattdessen hören wir sehr schnell wohlbekannte Sätze wie „Das geht nicht.“, „Kostet zu viel.“, „Hat noch nie funktioniert.“ usw. Offenkundig setzen bei uns sehr früh und sehr laut die kritischen und realistischen Stimmen ein, so dass unsere visionären Anteile kaum zum Zuge kommen.

Dies passt zu unserer rationalistischen Erziehung, die konvergentes
Denken fördert und  divergentes Denken (vorherrschend in kreativen Prozessen, Guilford 1967) außer Acht lässt. Da nützt es dann auch wenig, wenn die Kanzlerin auf der Cebit die Industrie zu mehr Innovation auffordert. Als ob sich Kreativität und neue Ideen verordnen ließen. Womit wir wieder bei Christian Lindner wären: Er möchte, dass das Wahlprogramm der Piraten „finanzierbar“ ist. Er fordert also den Einzug des Realitätsprinzips. Nun, wieviele wirklich neue Ideen durch das Auslassen des „Visionärs“ entstehen, beweist die FDP seit Langem. Dieses Denkprinzip ist also eher innovationshemmend.

Wir sollten uns daher eher von den Piraten anregen lassen und uns fragen, was wir von ihnen lernen können. Dafür muss man nicht mit allem einverstanden sein, aber eine wertschätzend-neugierige Grundhaltung, die vor der eigenen Irritation nicht zurückschreckt, ist dabei sicherlich hilfreich.

 

Als Arbeitgeber sollten Sie versuchen, ein Klima der Lösungsoffenheit zu erzeugen, in dem auch zunächst absurd erscheinende Gedanken frei geäußert werden können. Gewöhnen Sie sich und allen anderen die vorschnelle Bewertung und Meinungsäußerung ab, denn dies bedämpft den Ideengeber auch in der Zukunft. Sammeln Sie lieber, entscheiden können Sie immer noch.

Verzichten Sie ebenso auf ego-schmeichelnde Ja-Sager in Ihrer Umgebung wie auf ein allzu forsch-autoritäres Auftreten á la „Chefarzt“, denn damit verschrecken Sie das zarte Pflänzchen „Kreativität“ bei Ihren Mitarbeitern. Wenn die Angst vor Ihnen haben, haben sie auch Stress und Sie in der Folge keine Ideen. Trauen Sie sich, „dumm“ in der Sache zu sein und stattdessen kluge Fragen zu stellen, die Wissen und Kreativität Ihrer Mitarbeiten anzapfen.

Fordern Sie Ihre Führungskräfte dazu auf, in ihren Teams die rückhaltlose Kritik zu fördern und zu fordern. Vermeiden Sie Anforderungen an Feedback wie „konstruktiv“, „ruhig“ und „sachlich“, dadurch gehen Ihnen im Zweifel wichtige Informationen verloren. Vertrauen Sie lieber auf die „gute Erziehung“ Ihrer Mitarbeiter, die limitiert schon genug. Stärken Sie außerdem die Fähigkeit, mit unbequemem oder gar harschem Feedback umgehen zu können, bei sich selbst und Ihren Führungskräften.

Bauen Sie gezielt in Ihre Teams einen Innovator (Kreativling, Spinner, Freak, Visionär, Non-Konformisten, Querdenker, Radikalinski usw.) ein und trainieren Sie Ihre Teams dafür, mit einem solchen Kollegen gewinnbringend umzugehen (nicht einfach, da mit einem gewissen Grad an psychopathologischem Verhalten einhergehend (Funke, 2000)). Sorgen Sie für ausreichend Wertschätzung auch für alle anderen Teamrollen, die sind ebenso wichtig.

Vermeiden Sie unbedingt, dass Mitarbeiter, die endlich das Blatt vom Munde nehmen, deswegen irgendwelche Nachteile haben. Wenn Sie das nicht sicherstellen können oder wollen, sollten Sie die Finger von einer Offenheits- und Innovationskultur in Ihrem Betrieb lassen, denn Empowerment und Unterstützung für Kreativität gelten als wichtige Faktoren für Kreativität (Harrison et al., 2006).

Nutzen Sie fürs Erste Ihren Betriebsrat als wichtigen Kommunikationskanal für bottom-up-Informationen. Betriebsräte haben oft ein ausgeprägtes Problembewusstsein und besitzen eine entsprechende Spürnase. Das ist zwar oft ziemlich lästig und nervig, aber den Überbringer der schlechten Nachricht zu bekämpfen löst das eigentliche Problem nicht wirklich. Lassen Sie sich das Problem detailliert beschreiben (auch hier dürfen Sie wieder vorrangig kluge Fragen stellen), verordnen Sie sich und dem Betriebsrat vorübergehende Lösungslosigkeit und verwenden Sie ausreichend Zeit auf die Darstellung der mit dem Problem verbundenen Interessen, Bedürfnisse und Anliegen und beschreiben Sie erst dann gemeinsam den gewünschten Zustand. Anschließend können Sie dann vielfältige Lösungsoptionen generieren, um diesen Zustand zu erreichen.

 

Als Betriebsrat haben Sie manchmal intern das Problem, welches viele Arbeitgeber mit ihrem Betriebsrat haben: einer stört immer die Harmonie. Wenn Sie also weiterhin Ihrem Arbeitgeber auch unbequeme „Wahrheiten“ (eigentlich: Ihre Sicht der Dinge) sagen können wollen, so sollten Sie dieses Prinzip auch im Innern anwenden. Fördern Sie wie oben beschrieben die Rolle des Innovators und verbieten Sie sich die vorschnelle Bewertung des Gesagten, so schwer das auch fallen mag.

Seien Sie ein vertrauenswürdiger Ansprechpartner und sorgen Sie bei der Bearbeitung von Beschwerden dafür, dass Ihre KollegInnen daraus keine Nachteile erleiden. Sprechen Sie Ihre weiteren Schritte immer mit den betroffenen KollegInnen ab. Wenn Führungskräfte bewusst oder unbewusst Feedback ihrer Untergebenen verhindern, verschaffen Sie diesen über §97 (2) BetrVG entsprechende Trainingsmaßnahmen zu Kommunikation und Selbststeuerung.

Nehmen Sie den Schutz- und Förderauftrag aus §75 (2) BetrVG ernst und nutzen Sie dazu Ihr Mitbestimmungsrecht nach §87 (1) Nr.1 BetrVG bei der Aufstellung von Verhaltensregeln, Ethikrichtlinien usw. Das betriebliche Vorschlagwesen (Nr. 12) gibt Ihnen die Möglichkeit, die Ideen Ihrer KollegInnen für beide Seiten gewinnbringend nutzbar zu machen und gleichzeitig die Identifikation mit dem Betrieb zu stärken.

Lassen Sie sich durch die formalisierten und verrechtlichten Abläufe in der Betriebsratsarbeit nicht davon abhalten, Motor der Entwicklung im Betrieb zu sein. Das Betriebsverfassungsgesetz kann dazu ein wirkungsvolles Werkzeug sein, doch manchmal hilft auch die Verschiebung des Fokus auf das, was gerade nicht im Gesetz steht.

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