Papst vs. Titanic: So lieber nicht!

von Mediator und Coach Sebastian Schoberansky

 

Die einstweilige Verfügung, die der Vatikan gegen das Satiremagazin „Titanic“ erwirkt hat, hat zu kontroversen und zum Teil erbitterten Reaktionen geführt. Dennoch spricht der Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz Matthias Kopp von einem „großen Erfolg“. Schließlich „(haben) wir sehr genau gedacht (…), was wir auslösen.“ Wirklich? Und welchen Erfolg für wen meint er? Wie auch immer: Aus diesem Lehrstück lässt sich für die Betriebspartner einiges lernen.  

Mail von Herrn Kopp

Der kommunikationspsychologische Lehrsatz „Die Nachricht wird vom Empfänger gemacht“ bedeutet nichts anderes, als dass das vom Sender Ausgesandte (z.B. durch Sprache codierte Schallwellen) beim Empfänger decodiert und mit Bedeutung versehen wird. Der reine Sprachtext wird, sofern der Empfänger über den gleichen Code wie der Sender verfügt, dabei interpretiert, d.h., mit Bewertungen und Bedeutungen versehen, die ihrerseits Gefühle beim Empfänger auslösen. Da die Bedeutungsgebung jedoch nach ganz individuellen Mustern erfolgt, liegt die Wirkung außerhalb des Machtbereichs des Senders. Er kann allenfalls durch die Gestaltung des Textes und des ihn begleitenden stimmlichen, mimischen und gestischen Ausdrucks die Wahrscheinlichkeit des Eintretens einer bestimmten Wirkung erhöhen oder verringern. Demnach kann also auch eine Wirkung eintreten, die vom Sender gar nicht intendiert wurde.

Wir wollen hier keine juristischen Betrachtungen über Tatbestände wie Beleidigung oder Ehrverletzung anstellen. Es soll hier vielmehr um die Implikationen gehen, die sich aus der kommunikationspsychologischen Sichtweise ergeben. Nach dieser ist es nämlich gar nicht so eindeutig, dass man beleidigt, gekränkt oder verletzt WIRD. Denn wenn die Bedeutungsgebung „Beleidigung“, „Kränkung“ oder „Verletzung“ beim Empfänger erfolgt (oder eben nicht erfolgt), entscheidet doch dieser quasi darüber, ob er sich beleidigen, kränken oder verletzen LÄSST. So gesehen, sagt die einstweilige Verfügung gegen den Titanic-Titel mehr über den Papst bzw. den Vatikan aus, als über den Titanic-Titel oder die Titanic-Redaktion.

Einige Kommentatoren meinen, der Papst sei der Titanic „ins Messer gelaufen“. Vieles spricht dafür-  und so spricht auch einiges dafür, dass man sich eben nicht „genau gedacht“ hat, was man mit dem Antrag auf einstweilige Verfügung auslösen würde. Falls doch, dann allenfalls strategisch auf den Gegner bezogen. Aber keinesfalls hat man sich dabei reflektiv selbst betrachtet.

Die im Unbewussten erfolgende Interpretation der empfangenen Nachricht (Bild vom Titanic-Titel) und die dadurch ausgelöste Handlung/-srichtung (Erwirkung einer einstweiligen Verfügung) folgt dabei bereits bestehenden Mustern.

Ohne Innehalten, kritische Selbstreflektion und Überprüfung des Handlungsimpulses in Bezug auf die angestrebten Ziele ist das Verhalten berechenbar und damit für mögliche Gegner provozierbar. Damit ist die Gefahr groß, in eine gestellte Falle zu tappen und seinem Gegner ungewollt zu einem Erfolg zu verhelfen. Jetzt sind aber nicht nur traditionsreiche Institutionen wie die Katholische Kirche sehr leicht berechenbar, sondern auch die Betriebsparteien, wenn sie eine jahrelange und meist auch konfliktträchtige Beziehung pflegen und sich bestimmten Wert- und Moralvorstellungen stark verpflichtet fühlen.

Obwohl in einer solchen Beziehung die Konfliktaustragung überwiegend offen frontal erfolgt und damit Gefahrenquellen tendenziell leichter erkennbar sind, handeln manche der Streiter taktisch intelligent nach dem Motto „Man muss seinem Gegner auch mal die Gelegenheit geben, sich selbst zu entblöden“. Hier gilt es besonders aufzupassen.

Getreu dem altbekannten Motto „getroffene Hunde bellen“ kann hier als Einstieg die Frage gestellt werden, welche Punkte getroffen oder Knöpfe vom Gegner bei einem selbst gedrückt wurden. Die Beantwortung der Frage, was einen und wieso eigentlich so sehr auf die Palme bringt und wie man am liebsten darauf reagieren möchte, liefert Hinweise darauf, welche Muster bei einem selbst wirksam sind und sorgt durch ihre bewusste Wahrnehmung für Entlastung und Würdigung.

Anschließend muss die Form des „Bellens“, welche einem zunächst als passend in den Sinn kommt, dahingehend überprüft werden, ob die guten Absichten, die man damit verfolgt, mit der wahrscheinlich tatsächlich erzielten Wirkung zusammenpasst. Hier ist es erforderlich, sich nicht nur in den Gegner, sondern auch in weitere Beteiligte einzufühlen. Meistens stellt sich dabei heraus, dass die angedachte Maßnahme gerade in Bezug auf die anderen Beteiligten deutlich dysfunktional wirken dürfte. Doch gerade um diejenigen, die man noch nicht „im Sack“ bzw. noch nicht „endgültig verloren“ hat, geht es bei der Entwicklung einer funktionalen, angepassten Reaktionsweise.

Es ist also anzuraten, eine von sich selbst distanzierte Position einzunehmen. Hilfreich sind dabei Fähigkeiten wie Selbstironie, Humor, Selbstkritik, innere Gelassenheit und Größe,  grundsätzliche Bejahung des Realitätsprinzips, Anerkennung anderer Sichtweisen, Kontaktfähigkeit, Empathie, Lösungsoffenheit und nicht zuletzt non-konformistisches Querdenken.

Hinderlich sind Traditionsbewusstsein, Statusdenken, Formalismus, Beharrung, Fundamentalismus, Konservatismus, Verlustangst, Kleinheitsgefühle, unkritischer Affirmatismus, hierarchisches Denken, (Sekundär-)Tugendhaftigkeit, Wahrheitsanspruch, Distanziertheit, Abgehobenheit und eine Organisation mit tiefer Hierarchie und starren Regeln.

 

Ob nun eine Provokation vom Betriebsrat in Richtung Arbeitgeber und vom Arbeitgeber in Richtung Betriebsrat ausgeht: Beide sollten sich Frage stellen, ob sie den auf sie zukommenden „brennenden Ball“ überhaupt fangen wollen. Auch wenn uns unsere sozialisierten Reflexe wie Höflichkeit oder Konfliktverhalten zunächst nahe legen mögen, auf eine Nachricht (zumal eine provozierende) zu antworten, so besteht doch keinerlei tatsächlicher Zwang, dies in jedem Falle zu tun. Um nicht ungewollt in eine Eskalation einzutreten, ist es oftmals sinnvoll, den „brennenden Ball“ an sich vorbeifliegen zu lassen und sich in aller Ruhe zu überlegen, ob man diesen oder einen anderen Ball überhaupt zurückspielen möchte.

So ist Schweigen eine überaus wirksame Intervention, um allen die Möglichkeit zu geben, darüber nachzudenken, was da gerade wirklich passiert ist. Man kann ja, nachdem die Provokation wirkungslos verpufft ist, den Prozess des Nachdenkens immer noch unterstützen, indem man zu einem passenden Zeitpunkt auf die Aktion zurückkommt, den Versuch offen legt („netter Versuch“), ggf. einen Wunsch unterbringt („so was in Zukunft bitte nicht mehr“) und Hilfe anbietet („worum ging es denn nun wirklich?“).

Schließlich muss man als Betriebspartner noch etwas zusammenarbeiten und praktische Probleme lösen. Davon, dem anderen nur weitere Munition zu liefern wie der Papst der Titanic, hat der Betrieb rein gar nichts.

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