Leben und arbeiten in Zeiten der Corona: Was Arbeitnehmer jetzt wissen wollen.

Die drastischen Einschränkungen des öffentlichen Lebens in Italien warfen bange Fragen auf, wie man sich als Arbeitnehmer in Deutschland in einer solchen Situation verhalten soll. Jetzt haben wir schon heftige Maßnahmen, die vor allem bestimmte Unternehmen treffen. Was gilt hier in Deutschland für einen solchen Fall? Was müssen Arbeitnehmer und ihre Vertreter wissen, um in dieser Krise zu bestehen? Lesen Sie hier den ersten Teil unserer dreiteiligen Serie zur Arbeit in der Corona-Krise.

Teil I: Der Weg von und zur Arbeit

Eine erschreckende Studie der BBC (https://www.youtube.com/watch?v=QwvUvqSilA0) hat gezeigt, wie gerade unser moderner mobiler und sozialer Lebensstil zur rasanten Ausbreitung eines Virus gerade in den Ballungsräumen über das ganze Land beiträgt. Dort wurden, nachdem in einem kleinen Oertchen nahe Londons der berühmt-berüchtigte „Patient 0“ aufgetaucht war, innerhalb von ca. 2 Monaten über 43 Millionen Menschen im ganzen Land angesteckt und es wurden über 800.000 Tote infolge der Epidemie prognostiziert.

Unser modernes Arbeitsmobilitätsverhalten bringt zwei Risikofaktoren zusammen: Reisetätigkeit über kurze und auch lange Strecken und der gerade in öffentlichen Verkehrsmitteln auftretende nahe Kontakt zu anderen Menschen. Vieles spricht daher dafür, zum Schutze der Gesundheit beides zu reduzieren. Aber geht das so einfach?

„Ich möchte mich dem Ansteckungsrisiko in der S-Bahn nicht mehr aussetzen und bleibe deshalb zu Hause.“ Gute Idee, allerdings mit fataler Umsetzung! Sie sind als ArbeitnehmerIn sogar verpflichtet, das Zumutbare zu unterlassen, was Ihre Arbeitsleistung gefährden könnte. Gleichzeitig ist es aber ganz Ihre Sache, wie Sie (pünktlich!) zur Arbeit erscheinen. Der G20-Gipfel in Hamburg, als ein nur schwer passierbarer Sicherheitskorridor vom Flughafen in die City die Stadt quasi in zwei Hälften teilte, hat diese Frage für viele Hamburger Pendler schmerzhaft aufgeworfen: Was ist, wenn ich aufgrund höherer (damals: staatlicher) Gewalt nicht wie gewohnt zur Arbeit fahren kann? Klare Antwort: Es ist Sache des Arbeitnehmers, wie er es fertig bringt, zu seinem Arbeitsplatz zu kommen. Das Wegerisiko liegt fast vollständig in seiner eigenen Sphäre.

Also: Auf vollgepackte Busse, S-Bahnen und Flugzeuge verzichten: super. Nehmen Sie stattdessen das Fahrrad, das eigene Auto (bitte keine Fahrgemeinschaften bilden: Ansteckungsrisiko!), gehen Sie zu Fuss oder holen Sie das Paddelboot aus der Garage. Aber bitte bleiben Sie nicht einfach ohne (schriftliche explizite) Zustimmung Ihres Arbeitgebers zu Hause. Und denken Sie daran, rechtzeitig abzureisen, denn wenn es diesmal länger dauert als üblich, ist das wieder Ihr Problem.

„Nichts geht mehr: Es fahren keine Busse und Züge, Flüge sind gecancelt, die Strassen verstopft.“ Es gilt das zuvor Gesagte: Sie als ArbeitnehmerIn haben dafür Sorge zu tragen, am vertraglich vereinbarten Arbeitsort pünktlich zur Arbeit zu erscheinen. Kommen Sie, wie vielleicht hunderttausende anderer ArbeitnehmerInnen auch, zu spät oder gar nicht, verstossen Sie trotzdem gegen Ihre arbeitsvertraglichen Pflichten, was eine Abmahnung bis hin zur Kündigung nach sich ziehen kann. Unsere Empfehlung: Checken Sie Ihre üblichen Verkehrsmittel und -wege hinsichtlich möglicher Störungen und erwägen Sie rechtzeitig Alternativen. Nehmen Sie frühzeitig Kontakt zu Ihrem Arbeitgeber auf und bitten Sie im Zweifel um schriftliche Anweisung. Und machen Sie sich rechtzeitig auf den Weg.

„Ich habe gehört, dass ich trotzdem mein Geld bekomme, wenn ich nichts dafür konnte, fehlen zu müssen.“ Wie alle Märchen und Mythen hat auch dieses aus der Arbeitswelt einen wahren Kern: Nach § 616 BGB bekommen ArbeitnehmerInnen trotz Fehlens ihr Geld, wenn sie den Grund dafür nicht zu vertreten haben. Da denkt man doch bei Verkehrschaos oder sogar Ausgangssperre wegen Corona: „Liegt ja nicht an mir, was kann ich dafür?!“ Ja, aaaaaber: Erstens gilt der Vergütungsanspruch nach § 616 BGB nur an verhältnismässig wenigen Tagen pro Jahr, zweitens immer nur dann, wenn nicht gleichzeitig auch eine Vielzahl anderer Arbeitnehmer davon betroffen ist (der berühmte Schneesturm am Morgen) und drittens kann § 616 BGB im Arbeitsvertrag ausser Kraft gesetzt werden (was in einer Vielzahl der Arbeitsverträge heutzutage der Fall ist).

Selbst wenn Ihr Arbeitsvertrag § 616 BGB nicht ausgeschlossen hat (oder ihn ein freundlicher Tarifvertrag pauschal oder konkretisierend wieder für Sie gelten lässt), dann haben Sie immer noch das Problem, dass auch alle Ihre anderen KollegInnen das Corona-Problem haben. Und damit entfällt in einer solchen Situation Ihr Vergütungsanspruch nach § 616 BGB, wenn Sie coronabedingt fehlen.

„Ich kann mich gar nicht auf den Weg machen, weil niemand ausser mir meine Kinder betreuen kann.“ Wenn Kitas und Schulen geschlossen werden, müssen Sie als ArbeitnehmerIn zunächst alles Zumutbare tun, um dennoch eine Betreuung Ihrer Kinder während Ihrer Arbeitszeit sicherzustellen. Gelingt es Ihnen nicht, Partner, Verwandte, Freunde oder professionelle Helfer zu finden bzw. kann deren Aktivierung nicht zugemutet werden, könnte ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 BGB wegen Unzumutbarkeit entstehen, aufgrund dessen Sie weder Urlaub, Überstunden etc. nehmen und auch keine Entgeltkürzungen oder gar arbeitsvertragliche Massnahmen fürchten müssen. Hier sollten Sie sich aber fachkundig beraten lassen.

Ist Ihr Kind zusätzlich erkrankt, können Sie nach § 2 Pflegezeitgesetz bis zu 10 Arbeitstage von der Arbeit fernbleiben, wenn Sie dies Ihrem Arbeitgeber unverzüglich angezeigt und die voraussichtliche Dauer mitgeteilt haben. Allerdings haben Sie für diese Zeit nur dann einen Vergütungsanspruch, wenn dies in Ihrem Arbeitsvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder in einem für Sie geltenden Tarifvertrag vereinbart wurde.

Fazit: Sie müssen alles Zumutbare tun, um Ihre Arbeitsleistung vertragsgemäss anbieten zu können. Die Grenzen des Zumutbaren sind für den jeweiligen Einzelfall jedoch nicht eindeutig definiert, und schon gar nicht von Ihnen selbst. Sprechen Sie also rechtzeitig mit Ihrem Arbeitgeber, bitten Sie Ihren Betriebsrat, eine Klärung herbeizuführen, prüfen Sie alternative Arbeitswege, erwägen Sie den freiwilligen Einsatz von Überstunden oder Urlaub oder melden Sie sich arbeitsunfähig, aber bitte bleiben Sie nicht einfach zu Hause, weil grad alles so schwierig ist.

Lesen Sie demnächst Teil II: Corona mit und ohne Arbeit.

 

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