Recht auf Home-Office? Lieber nicht für alle!

Die moderne Arbeitswelt verlangt nach modernen Antworten zu ihrer Gestaltung. Nun versucht die SPD mit ihren Vorschlägen, eine sich längst abzeichnende Entwicklung mit einem Rechtsanspruch zu versehen. Erinnern wir uns: Das gut gemeinte Teilzeit- und Befristungsgesetz hatte den Untergang des unbefristeten Arbeitsvertrages als Normalfall zur Folge, Teilzeit wird bei Weitem nicht so stark nachgefragt, wie angenommen, und wenn, dann scheitert es oft am Veto des Arbeitgebers. Nicht alles, was nach modern klingt, glänzt also in der Praxis. Erfahrene Betriebsräte wissen es längst, dass Theorie des Arbeitsrechts und tägliche Praxis oft weit auseinanderklaffen.

Auf den ersten Blick klingen Flexibilisierungen fast immer verlockend. In diesem Fall setzt das angedachte Modell verantwortungsbewusste und vernünftige Arbeitgeber wie Arbeitnehmer voraus. Gäbe es die wie erhofft, wären unsere Arbeitsgerichte bereits heute leer und Betriebsräte arbeitslos. Es ist daher extrem unwahrscheinlich, dass mit Einführung eines Rechtsanspruches auf Home-Office plötzlich alle Beteiligten zu anderen, besseren Menschen werden. Es regiert das Prinzip Hoffnung, die Praxistauglichkeit muss erst noch entwickelt werden.

Vehrkehr und Umwelt: Man stelle sich vor, es ist Rush-hour, und keiner fährt mit! Es ist schon eine verlockende Vision, sich Deutschlands Straßen, Busse und Bahnen morgens um 8 Uhr vorzustellen, wenn ein erheblicher Teil der üblichen Mitverstopfer einfach zu Hause bliebe. Zügigeres Vorankommen, bessere Luft, weniger Gedränge. Man könnte glatt die „Entspannterepublik Deutschland“ ausrufen. Und erst der Gewinn an selbstverwendbarer Lebenszeit! Ja, Home-Office könnte einem wie die „eierlegende Wollmilchsau“ für all unsere Gesundheits-, Familien-, Verkehrs- und Umweltprobleme vorkommen. Doch denken wir weiter…

Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Nur für die Wenigsten bedeutet die Zeit mit den Kindern Erholung von den nervigen Kollegen, bzw. umgekehrt die Ruhe im Büro Erholung von der ständigen Ansprache durch die nervigen Bälger. Für die meisten bedeutet das schlicht doppelten Stress und mehr Arbeit, denn wirklich effizient wäre nur die Fokussierung auf EINE Tätigkeit, wozu sonst hätte der Kapitalismus die Arbeitsteilung erfunden? Die Erholung im einen vom anderen ist bloßes Wunschdenken, geleitet von dem Versuch, maximale Verfügbarkeit von Arbeitskraft irgendwie mit Arterhaltung in Einklang zu bringen. Es ist aber wie mit dem Märchen vom Multi-tasking: Trotz schnellerer Taktung bleibt das eine das eine, das andere das andere und das eine folgt auf das andere, gleichzeitig ist nicht.

Schutz vor ständiger Erreichbarkeit: Hier soll die Quadratur des Kreises vollbracht werden. Home-Office bedeutet per se, als Arbeitnehmer für den Arbeitgeber ansprechbar zu sein. Schließlich ist dies während der Arbeitszeit Pflicht, denn der Arbeitgeber muss sein Weisungsrecht ausüben können. Ein Teil des Charmes von Home-Office liegt aber darin, sich die Arbeit in einem bestimmten Umfang einteilen zu können, also auch mal zwischendurch die Kinder versorgen oder den Haushalt machen können. Hier entsteht das Dilemma, denn wenn ich als Homeworker keine festen Arbeitszeiten habe, weiß mein Chef nicht, ob ich gerade das Essen oder meine Arbeit mache, wenn er mich anruft. Die Wahrscheinlichkeit des Anrufes im unpassendsten Moment ist hoch, es fällt entweder das Handy oder das noch nicht fertig gewickelte Baby runter.

Das mit Home-Office oftmals einhergehende Arbeitszeitmodell „Vertrauensarbeitszeit“ wird also zu gegenseitiger Absicherung Elemente der Funktionszeit aufweisen müssen, also vereinbarte Zeiten enthalten, zu denen der Arbeitnehmer sicher an seinem Heimarbeitsplatz verfügbar ist und keine andere Betätigung ausübt.

In diversen Unternehmen besteht ohnehin schon eine Kultur der Entgrenzung von Arbeit. „Freiwillige“ Überstunden werden ebenso selbstverständlich erwartet wie auch geleistet, gewonnen hat der, bei dem zuletzt noch das Licht im Büro brennt und wer doch mit Achtunddreißigfünf zuhause im Bett geblieben ist, geht selbstverständlich ans Telefon, wenn der Vorgesetzte anruft oder ruft gleich besser selbst an, um den Kollegen noch schnell was zu sagen. Google und Facebook machen bereits heute vor, dass ein Arbeitgeber wie eine Krake in alle möglichen, bisher völlig privaten Lebensbereiche hineinfingert und so das Individuum fast vollständig umarmt.

Nun, in einigen Berufen und in einem bestimmten Lebensalter mag man durchaus Menschen antreffen, die das toll finden. Daneben gibt es diejenigen, die sowas noch nie oder nicht mehr gut finden und sich daher solchen Flexibilisierungs- und Vereinnahmungsansinnen gut entziehen können. Und es gibt schon heute diejenigen, die erhebliche Schwierigkeiten haben, „Nein“ zu sagen, ihre Überstunden abzubauen, sich gegen ungerechte Behandlung zu wehren, nicht ans Telefon zu gehen, wenn der Chef oder Kollege im Feierabend, am Wochenende oder im Urlaub anruft.

Für all die Menschen, die über keine gute Selbststeuerung verfügen, deren Selbstbehauptungs- und Konfliktfähigkeiten unterentwickelt sind, die gut gelernt haben, dass der Job super wichtig ist und man anständig zu funktionieren hat, für die ist Home-Office geradezu schädlich. Wieso sollten sie auch zuhause im losen Rahmen plötzlich etwas können, was ihnen schon im Betrieb in einem etwas engeren Korsett offenkundig nicht gelingt? Man schaue sich nur die massiv gestiegenen Burnout-Fälle an, die oftmals Ausdruck unaufgelöster innerer Ambivalenzkonflikte sind. Die für eine Auflösung von Ambivalenzen notwendige Klarheit wird aber ganz sicher nicht erleichtert, wenn man eine noch komplexere Situation schafft, in der Abgrenzung noch schwerer möglich ist.

Home-Office ist ganz sicher eine gute Lösung für all diejenigen Mitarbeiter, die es schon „auf Arbeit“ schaffen, ihren Belastungsgrad gut zu steuern und sich ihre Arbeit so gut einteilen können, dass keine Unzufriedenheit durch Defizite im privaten Bereich entstehen. Diese Mitarbeiter mit hohem Reifegrad werden die Umstellung sicher gut packen. Aber die bereits oben beschriebenen Mitarbeiter mit der schwachen Selbststeuerungsfähigkeit, die oftmals mit einem ausgeprägten Hang, anderen gefallen zu wollen, einhergeht, werden bei Home-Office viel mehr von dem brauchen, woran es im Arbeitsalltag meist aber ohnehin schon mangelt. Denn da diese Mitarbeiter häufig echte Leistungsträger sind, bleiben ihre Vorgesetzten nur zu gerne auf dem Fürsorge-Auge blind. Dabei hat der Arbeitgeber doch die Pflicht, die Arbeit so zu gestalten und zu bemessen, dass der Arbeitnehmer bei angemessener Anspannung seiner geistigen und körperlichen Kräfte seine Arbeitsleistung auf Dauer, OHNE dass er einen gesundheitlichen Schaden erleidet, erbringen kann. Wie soll das, was als Führungsaufgabe noch nicht mal bei Präsenz im Betrieb funktioniert, dann ohne Beobachtungsmöglichkeiten im Home-Office gehen?

Home-Office kann also nur dann eine Lösung für viele Arbeitnehmer sein, wenn die für eine auf Dauer gesunde Ausübung erforderlichen Kompetenzen systematisch erzeugt und fortentwickelt werden. Dazu bedarf es neben einer entsprechenden Sensibilisierung für die Gefahren nicht nur der betroffenen Arbeitnehmer, sondern vor allem ihrer Führungskräfte. Es bedarf der Entwicklung von Selbststeuerung mittels vorheriger Schulung und begleitenden Coachings. Und es braucht immer ein gutes Monitoringsystem, welches gesundheitliche Veränderung engmaschig dokumentiert und die Einhaltung der Rahmenbedingungen kontrolliert. Hierzu wird es nötig sein, dass der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht nach §87 (1) Nr. 2 und 3 iVm Nr.7 BetrVG VOR der Einführung des Arbeitszeitmodells „Home-Office“ ausgiebig dazu nutzt, sich selbst und andere zu informieren und dann einen Rahmen zu gestalten, der es den KollegInnen erlaubt, die Vorteile dieses Modells zu nutzen, ohne (unbewusst) einen hohen Preis für etwas zu bezahlen, was gerade in Mode ist und nur auf den ersten Blick eine eindeutige win-win-Lösung darstellt.

Home-Office ist bei Lichte betrachtet nur der Versuch, sich aus den nervigen Erscheinungen unseres modernen Arbeitslebens „herauszuheiraten“. Klar tut etwas Abstand gut, aber die nervigen Kollegen bleiben nervige Kollegen, der sozial inkompetente Vorgesetzte wird nicht plötzlich einfühlsam, langweilige Arbeitsaufgaben werden nicht dadurch zu spannenden Herausforderungen, weil man sie unterm Apfelbaum erledigt, die Geräuschkulisse des Großraumbüros wird bestens durch Kindergeschrei ersetzt, zu den Papierstapeln auf dem Büroschreibtisch gesellen sich zusätzlich Spielzeug, Windeln und schmutziges Geschirr. So schön die Abwechslung sein mag, eine Erlösung von den grundlegenden Problemen unserer Arbeitswelt ist es sicher nicht. Wir täten gut daran, uns nicht auf eine solche Symptomkuriererei zu beschränken.

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