BAG zum Sonderkündigungsschutz für BR-Ersatzmitglieder: Der zweite Blick liefert nur noch wenig Anlass zur Euphorie.

Eigentlich hätte dieser Artikel auch „Mehr Klarheit, mehr Arbeit, mehr Aufpassen.“ heißen können. Denn die erste Freude über mehr Klarheit verführt schnell dazu, die Implikationen und Stolperfallen der BAG-Entscheidung zu übersehen. Und daran ist das BAG nicht ganz unschuldig.

Darum geht es: Die Ersatzmitglieder genießen denselben Sonderkündigungsschutz (§15 (1) S.1 KSchG) wie die regulären Mitglieder des Betriebsrats nur dann, wenn sie während einer zeitweiligen Verhinderung eines regulären Mitgliedes in den Betriebsrat aufrücken. Doch in der Praxis herrscht vielfach Verwirrung darüber, wann denn dieser Schutz tatsächlich beginnt. 

Bislang gingen viele Betriebsräte davon aus, dass ein Ersatzmitglied hinsichtlich des Sonderkündigungsschutzes erst dann wie ein „volles Mitglied“ zu zählen ist, wenn es im Vertretungsfalle auch tatsächlich Betriebsratsarbeit geleistet hatte. Da Ersatzmitglieder naturgemäß nicht mit allen aktuellen Vorgängen und ggf. daraus resultierenden Aufgaben vertraut sind und auch nicht automatisch in bestehende Mandate der regulären Mitglieder z.B. in Betriebsausschuss oder Gesamtbetriebsrat nachrücken, entstand der Sonderkündigungsschutz nach §15 (1) KSchG nach der alten Auffassung meist erst mit der unvermeidbaren Teilnahme an einer Betriebsratssitzung.

Die Entscheidung des BAG hat nun für eine überfällige Klärung gesorgt, die zugunsten der Ersatzmitglieder geht, wenn sie und/oder der Betriebsrat die dafür notwendigen Vorkehrungen treffen: Das BAG geht nunmehr davon aus, dass bei Erholungsurlaub mit Antritt desselben regelmäßig eine Suspendierung von der Pflicht zur Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben für das reguläre Mitglied entsteht, wenn es nicht zuvor seine Bereitschaft zu Betriebsratstätigkeiten während des Urlaubs ausdrücklich angezeigt hat. Ohne das Vorliegen einer solchen positiven Anzeige ist daher immer von einer ordnungsgemäßen Verhinderung auszugehen, das Ersatzmitglied erwirbt seinen Sonderkündigungsschutz mit dem üblichen Arbeitsbeginn am ersten Urlaubstag des verhinderten regulären BR-Mitgliedes.

Als Nebeneffekt dieser Entscheidung tritt auch eine verstärkte Sicherheit für die Betriebsratsbeschlüsse ein, da nun nicht mehr mühsam im Einzelfall geprüft werden muss, ob das verhinderte Mitglied seinen Urlaub am Ort verbringt und ggf. vielleicht doch an der Sitzung teilnehmen möchte bzw. könnte. Solange keine Erklärung vorliegt, kann nun der Vorsitz sicheren Gewissens das Ersatzmitglied nachladen.

Aus der neuen Rechtsprechung ergibt sich jedoch auch eine neue Aufgabe: bisher war es anhand der Anwesenheitsliste der Betriebsratssitzung recht leicht, die tatsächliche Betriebsratstätigkeit in diesem Falle nachzuweisen. Da aber nach der neuen Rechtsprechung der Sonderkündigungsschutz selbst dann entsteht, wenn das Ersatzmitglied gar keine Kenntnis vom Vertretungsfall hat, wird es selbst oder der Betriebsrat im Streitfalle mühsam rekonstruieren müssen, ob nicht ggf. doch der besondere Schutz bereits bestand.

Es ist daher anzuraten, dass der Betriebsrat, wenn er nicht bereits ohnehin eine eigene Anwesenheitsvorschau zur Ladungsplanung betreibt, für seine regulären wie auch für alle seine Ersatzmitglieder eine Aufstellung der tatsächlichen Verhinderungen (ggf. mit Angabe des Verhinderungsgrundes) führt. Dabei sind auch Kurzzeit-Verhinderungen aufzuzeichnen, denn wie es der vorliegende Fall gezeigt hat, können schon Urlaube von der Dauer von einem Tag entscheidend sein.

Das BAG hat leider nichts dazu ausgeführt, ob der Sonderkündigungsschutz wie beschrieben nur für das erste unter Beachtung von Minderheitengeschlecht und etwaiger Listenzugehörigkeit nachzuladende Ersatzmitglied entsteht, oder ob der Schutz bei tatsächlicher Verhinderung auch des ersten oder gar weiterer nachzuladender Ersatzmitglieder dann (und vielleicht nur) für das letztlich tatsächlich zur Verfügung stehende Ersatzmitglied entsteht. Da aber bei der Verhinderung eines eigentlich vertretenden Ersatzmitgliedes in Bezug auf eine Sitzungsladung genauso wie bei der Verhinderung eines regulären Mitgliedes zu verfahren ist, kann davon ausgegangen werden, dass der Sonderkündigungsschutz auch für Ersatzmitglieder entsteht, die weiter hinten auf der Liste stehen.

In der Praxis dürften jedoch in den seltensten Fällen die Zeiten der Verhinderung von regulärem Mitglied und dem ersten sowie ggf. weiteren Ersatzmitgliedern deckungsgleich sein. So könnte der Sonderkündigungsschutz im Einzelfall zwischen den Ersatzmitgliedern hin- und herspringen, bis das reguläre Mitglied wieder da ist. Da offen bleiben muss, ob das BAG bei seiner Entscheidung diese Eintrübung der ursprünglich erreichten Klarheit bedacht hat, kann nur empfohlen werden, sich für Streitfälle zu wappnen und sämtliche Daten der Verhinderung von allen Beteiligten aufzuzeichnen. Schließlich obliegt es dem Ersatzmitglied, im Falle einer Kündigung das Entstehen des Sonderkündigungsschutzes nachzuweisen, wenn es Kündigungsschutzklage erhebt.

Das BAG macht jedoch an einer fast schon versteckten Stelle noch eine wichtige Differenzierung, die in der Praxis (und beim Lesen des Urteils) schnell mal übersehen werden kann: für das Entstehen des Sonderkündigungsschutzes muss das Ersatzmitglied nicht zwingend Betriebsratstätigkeit ausgeübt haben, für das Entstehen des nachwirkenden Kündigungsschutzes jedoch schon. Die Neuigkeit des Urteils bezieht sich daher ausschließlich auf die relativ kurze Zeit der Vertretung, nicht auf die in der Regel längere Zeit nach der Vertretung! Daher kann nur nachdrücklich empfohlen werden, dass auch Ersatzmitglieder in einem eigenen Tätigkeitsprotokoll ihre (erforderlichen!) Betriebsratstätigkeiten dokumentieren, um im Zweifel das Entstehen dieses Teils ihres Kündigungsschutzes ebenfalls nachweisen zu können.

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