„Führung im Betriebsrat“ ein Thema? Rechtlich keins, praktisch doch eins.

Das Betriebsverfassungsgesetz definiert mit dem Vorsitz bzw. seiner Stellvertretung eine wichtige Rolle für das Funktionieren des Betriebsrats im Geflecht des Betriebes. Dabei billigt das Gesetz dem Vorsitz keinerlei besondere (Führungs-)Macht, aber dafür besondere Aufgaben und Pflichten zu. Der Vorsitz ist intern „Gleicher unter Gleichen“, nach Außen verbindlicher Sprecher. Doch in der Praxis werden dem Vorsitz, ob er will oder nicht, von allen Beteiligten inner- und außerhalb des Betriebsrats weitere Funktionen und Rollenaufgaben zugeschrieben. Ein bewusster Umgang mit diesem Phänomen verbessert die Zusammenarbeit und macht dem Vorsitz das Leben leichter. 

Die Rolle des Vorsitzes erzeugt automatisch eine herausgehobene Stellung. An Menschen in herausgehobenen Stellungen stellen die anderen besondere Anforderungen, wie z.B.

  • Orientierung und Richtung
  • Schutz und Sicherheit
  • Zugehörigkeit und Gemeinschaft
  • Anerkennung und Wertschätzung
  • Sinn und Werte
  • Verlässlichkeit und Vertrauen

Missachtet der Vorsitz dieses „zweite Anforderungsprofil“ neben seinen Aufgaben wie Einberufung und Leitung der Betriebsratssitzung, Abgabe von Erklärungen gegenüber dem Arbeitgeber bzw. Entgegennahme von dessen Erklärungen, Führung der Amtsgeschäfte usw., so wird sich die Durchführung der originären Aufgaben schwieriger als nötig gestalten. Es lohnt sich also, entgegen allen rechtlichen Bedenken zumindest eine gewisse Führungs- und Repräsentationsrolle anzunehmen und deren Regeln zu beachten, wenn der Erfolg der Betriebsratsarbeit auch von der Performance des Vorsitzes beeinflusst wird

Zur Beachtung der Regeln gehört auch, sich über die Wahrnehmung dieser Rolle durch die anderen zu informieren. Hier liefert eine Studie des Beratungsunternehmens „Development Dimensions International (DDI)“ über die Erfahrungen von Mitarbeitern mit ihren Führungskräften wertvolles Material, das eigene Führungsverhalten zu reflektieren und ggf. hinsichtlich seiner Wirkung anzupassen.

  • Mehr als ein Drittel der befragten Mitarbeiter hält seine Führungskraft für nicht effektiv bei der Ausübung seiner Aufgaben. 

Dabei glaubt fast die Hälfte, dass sie den Job ebenfalls machen könnte, aber dafür besser! In einem Betriebsrat dürfte der Prozentsatz wahrscheinlich sogar höher liegen, berücksichtigt man, dass eigentlich alle Betriebsratsmitglieder über ein profundes fachliches Wissen verfügen müssten und sich die besonderen Aufgaben des Vorsitzes nach dem Gesetz eher um Organisationsaufgaben drehen. Gleichwohl haben viele der Befragten keine Lust auf die mit der Führungsaufgabe einhergehenden Belastungen. Daraus ergibt sich die Frage an den Vorsitz, ob er wirklich nur ein „nützlicher Idiot“ sein, oder aber seine besondere Rolle so ausfüllen will, dass deutlich weniger Beteiligte auf die Idee kommen, sie könnten´s besser.

  • Die Führungskraft erzeugt mehr Schlechtes als Gutes.

Mehr als zwei Fünftel finden die Fähigkeit, Arbeitsplatzkonflikte zu bearbeiten, nicht effektiv, mehr als ein Drittel vermisst ausreichendes Zuhören und stört sich daran, dass die Führungskraft Lieblinge bevorzugt. Gleichwohl die Themen Teambuilding sowie -entwicklung als auch Konfliktmanagement zunehmend bei Betriebsräten ins Bewusstsein gelangen, fühlen sich viele Vorsitzende nicht für solche „weichen“ Themen zuständig. Schließlich müssen sie selbst „an der Front“ die Entscheidungen des Betriebsrats durchkämpfen und zu allem Überfluss gibt ihnen die Rechtsprechung weitgehend recht, die vorrangig rechtliche Themen als für alle Betriebsratsmitglieder erforderlich hält, Maßnahmen der Teamentwicklung aber oftmals nicht. Wenn dann der Vorsitz die Möglichkeit, die aufgrund seiner herausgehobenen Stellung leichter zu begründende Erforderlichkeit für entsprechende Schulungen nachzuweisen, nicht nutzt und zumindest für sich das Wissen über Teamprozesse, deren Steuerung sowie Konfliktmanagement anzueignen, werden zuerst die betriebsratsinternen, dann die externen Konflikte zunehmen.

  • Führungskräfte beschädigen Selbstachtung und -vertrauen.

Dazu gehört auch, dass Führungskräfte in 30% der Fälle in Problemgesprächen mit ihren Mitarbeitern nicht ruhig und konstruktiv bleiben. Lieber bezahlen die Mitarbeiter ihre Steuern oder akzeptieren ein Falschparker-Ticket, als in ein schwieriges Gespräch mit ihrer Führungskraft zu gehen. Der Unterschied zum Betriebsrat: Führungskräfte sind in aller Regel für ihre Aufgabe qualifiziert worden, wer in den Betriebsrat geht und gar den Vorsitz übernimmt, hat dafür weder eine Ausbildung noch ein Studium absolviert. Es ist also reiner Zufall, wenn sich der gewählte Vorsitz auch im „Zwischenmenschlichen“ als ertragbar herausstellt. Fehlt es an grundlegender sozialer Kompetenz, wie

    • Fragen nach eigenen Lösungsideen
    • Hilfestellung bei der Problemlösung ohne Entmündigung
    • Feedback zur geleisteten Arbeit
    • Kontrollierter Dialog / Verständnisfragen

wird intern die Motivation rasch sinken und extern viel Porzellan zerschlagen und Widerstand erzeugt.

  • Führungskräfte werden verglichen

Die über den Zeitraum des Arbeitslebens erlebten Führungskräfte werden kritisch mit der derzeitigen Führungskraft verglichen. Gleichwohl Effekte der Vergangenheitsverklärung mit dazu beitragen mögen, dass nur 56% sagen, dass ihnen die gegenwärtige Führungskraft zu mehr Produktivität verhilft, können die Mitarbeiter sehr genau benennen, was die „beste Führungskraft ihres Arbeitslebens“ so gut gemacht hat:

    • Sie hat mich angemessen wahrgenommen.
    • Sie hat mich unterstützt, ohne zu entmündigen.
    • Sie hat mich in Entscheidungen eingebunden.
    • Sie hat mir zugehört.
    • Sie hat sich die Zeit genommen, mir die Gründe für Entscheidungen zu erläutern.
    • Sie hat sich um den Erhalt meiner Selbstachtung gekümmert.

Da auch in Betriebsräten der Vorsitz wechselt, erleben auch neue Vorsitzende dieses Phänomen des Vergleichens. Schenken sie dem keine Beachtung, verschlechtert dies sicher schnell ihr Standing im Betriebsrat und die allgemeine Leistungsfähigkeit sinkt (in der Studie klafften gegenwärtige und beste frühere Führungskraft bei fast allen Items um etwa 20% auseinander, die Mitarbeiter gaben an, zwischen 20 und 60% produktiver bei einer besten Führungskraft arbeiten zu können). Es kann aber nicht darum gehen, den alten Vorsitz einfach nur zu übertreffen, besser als dieser sein zu wollen. Neben der Beachtung der oben genannten Punkte sollte der neue Vorsitz auch einen überzeugenden eigenen Stil ausbilden. Wohin dabei die Reise gehen sollte, kann die einfache Frage an Betriebsratsmitglieder, Mitarbeiter und Arbeitgeber, was am alten Vorsitz am meisten gestört hat, liefern.

  • Gute Führungskräfte erzeugen weniger Fluktuation.

39% haben vorrangig wegen ihrer aktuellen Führungskraft ihren Arbeitsplatz gewechselt, 55% ziehen dies aus diesem Grund in Erwägung. Dagegen sind die Wechselabsichten dreifach geringer bei denjenigen, die gegenwärtig unter der besten Führungskraft ihres Arbeitslebens arbeiten. Fluktuation erzeugt immer auch Produktivitätsverluste. Addiert man dazu die Produktivitätsverluste, die unter einer schlechten Führungskraft bei den verbleibenden Mitarbeitern entstehen (s.o.), so kann man anhand des ernormen Unterschieds zwischen guter und schlechter Führungskraft erkennen, dass Führung, wenn sie denn gut ist, eben doch einen Unterschied macht, so dass sich die Frage nach „Führung ja oder nein?“ gar nicht stellt.

Dies müssen sich Betriebsräte vor Augen halten, wenn sie sich aus prinzipiellen Erwägungen heraus gegen jede Form von Führung innerhalb des Gremiums aussprechen und dabei der designierten Führungskraft Handlungsspielräume sowie notwendige Fortbildungen verweigern. Schließlich kann ein engagierter Vorsitz besser werden wollen so viel er will, er hängt letztlich von der Unterstützung seines Gremiums ab, denn dieses beschließt nun einmal über Schulungen usw.

Wenn frustrierte Betriebsratsmitglieder ihr Mandat niederlegen, ist meistens eine recht lange Zeit der Agonie und des internen Streits vorausgegangen. Die Erleichterung durch den Weggang täuscht allzu leicht darüber hinweg, dass das nachrückende Ersatzmitglied über weniger Wissen und Erfahrung verfügt, nicht in den aktuellen Themen wirklich drin ist und in Verhandlungen mit dem Arbeitgeber und in Betriebsversammlungen erstmal nicht zu gebrauchen ist. Wird mit dieser Problematik nicht sorgsam umgegangen, beginnt sich sofort eine neue Frust-Spirale zu drehen. Da nun aber das Reservoir an Ersatzmitgliedern endlich ist und der Betriebsrat nicht auf dem freien Markt neue Mitglieder rekrutieren kann, stellt sich irgendwann dann das Problem „Neuwahlen“ ein. Hier besteht aber immer das Risiko, nicht wiedergewählt zu werden, so dass ein solches Szenario, das nach unseren Erfahrungen gar nicht so selten ist, nicht im Interesse der Betriebsratsmitglieder liegen kann.

Fazit:

Führung im Betriebsrat ist ein Thema, ob das das Gremium will oder nicht. Ein dogmatischer ebenso wie ein ignorierender Umgang damit zieht unausweichlich eine schlechtere Produktivität nach sich, was sich im Betriebsrat durch weniger Durchsetzungskraft, schlechtes Standing, Arbeitsüberlastung einzelner und mehr innere wie äußere Konflikte äußert. Dies konterkariert die guten Ziele und Absichten, mit denen die meisten Betriebsratsmitglieder einmal angetreten sind. Allein schon aus Gründen des Selbstachtung und der Selbstfürsorge gebietet es sich daher, dieses Thema wirklich ernst zu nehmen und auch hier Professionalität anzustreben.

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