Gauck und Merkel: Orientierung für Führungskräfte wie den BR-Vorsitz?

von Mediator und Coach Sebastian Schoberansky

Sicher werden Sie sich fragen, was denn die Kür unseren neuen Bundespräsidenten in spe mit der Rolle des Betriebsratsvorsitzes zu tun hat. Ich glaube, dass sich nach der monatelangen Debatte um die echten und vermeintlichen Verfehlungen des Christian Wulff nun in der breiten Zustimmung aus Politik wie Bevölkerung jetzt die eigentlichen Bedürfnisse und Wünsche, die die Menschen an das Amt und die Person haben, offen und ungeschminkt zeigen. 

In der Abgrenzung zum smarten Jungpolitiker im höchsten Staatsamt wird deutlich, dass die Menschen eine erkennbare Sehnsucht nach menschlich-mitfühlender Integrität haben, die auch mal kantig-standfest anecken darf. Joachim Gauck zeigt sich als anderen und sich selbst zuhörenden Menschen, dem der Karrieresprung offenkundig herzlich egal ist. Er nimmt sich die Freiheit, trotz der Würde des Amtes und des Moments ein bescheidener Mensch mit Gefühlen zu bleiben und diese auch zu zeigen.

Wie kann es sein, dass Menschen wie er so hohes Ansehen in weiten Teilen der Bevölkerung geniessen? Im Gegensatz zu Helmut Schmidt, der mindestens ebenso großes Ansehen genießt, weiß der Normalbürger deutlich weniger von Joachim Gauck. Es muss etwas mit Persönlichkeit und Haltung zu tun haben, mit Moral und, wie Helmut Schmidt sagen würde, Anstand. Offenkundig nehmen wir es diesen Menschen ab, dass sie über allem partei- und gesellschaftspolitischem Gezänk stehen, dass ihre klar geäußerte Position auf Wissen, Nachdenken und Menschlichkeit beruht, anstatt den Gesetzen der Macht und des Pragmatismus zu folgen.

Womit wir bei Angela Merkel wären: Bei den Themen, bei denen sie mehr im Ausland agieren muss, wird sie dort wie mittlerweile selbst in Deutschland für ihren nüchternen und durchsetzungsfähigen Pragmatismus geschätzt. Im Innern zeigt sie sich meist als Machtpolitikerin. Als diesbezügliche Schülerin Helmut Kohls war es Teil ihres Machtkalküls, den aufstrebenden Ministerpräsidenten von Niedersachsen ins höchste Staatsamt wegzuloben.

Dabei vergaß die protestantisch-nüchterne Wissenschaftlerin einen ganz wesentlichen Punkt. Als Kanzlerin und Mensch nicht zur „Mutter der Nation“ taugend, berührte dann das schicke Präsidentenehepaar die Menschen so, wie einen Hochglanzfotos in der „Bunten“ eben berühren. Wie weit bei Christian Wulff die menschliche Tiefe ging, hat seine seit Wochen repetierte Definition des Begriffes „Freunde“ gezeigt. Weder konnte er die Menschen „mitnehmen“, noch konnten diese zu ihm wirklich aufblicken.

Es ist jedoch ein zutiefst menschliches Bedürfnis, zu den Amtsträgern aufblicken zu können. Schließlich will man Vertrauen und die Sicherheit haben können, dass diese Personen zu Recht auf dieser Position stehen. Um im Bild zu bleiben: je unübersichtlicher die Realität, desto dringender müssen Amtsträger Orientierung bieten, desto mehr wollen die Menschen zu ihnen wie zu Leuchttürmen aufblicken. Dies gilt im gesellschaftspolitischen Leben ebenso wie in der Realität der Betriebe: Arbeitnehmer wollen zu ihren Führungskräften aufblicken und Respekt für sie empfinden können. Und obwohl der BR-Vorsitz nach dem Gesetz nur ein „Gleicher unter Gleichen“ ist, gilt dieser Mechanismus auch für die Betriebsratsmitglieder ohne Wenn und Aber.

Im sozialen Geflecht des Gremiums nimmt der Vorsitz in der Praxis immer eine Sonderstellung ein, bei der verschiedene Rollen und -aufgaben zusammenkommen. Da sich manche von ihnen widersprechen, kann es zu heftigen Rollenkonflikten beim Amtsträger selbst wie auch zwischen ihm und den Gremienmitgliedern kommen.

Besonders augenfällig wird der Rollenkonflikt, wenn der Vorsitz einen Beschluss vertreten muss, dem er selbst nicht zugestimmt hat. Verschärft wird der Konflikt, wenn der Vorsitz einer unterlegenen Gruppierung angehört oder gar ihr führender Kopf ist. Ist diese Gruppierung dagegen groß und mächtig, wird es nicht besser, denn jetzt tut sich ein anderer Konflikt auf: die übrigen Betriebsratsmitglieder wollen sich ebenfalls vom Vorsitz vertreten sehen.

Ein Vorsitz, welcher die Bedürfnisse ALLER Mitglieder nach Schutz, Sicherheit, Geborgenheit, Führung und Wertschätzung nicht beachtet, ignoriert seine Rollenaufgaben als „Verbinder“. Diese Teamrolle könnte auch an ein anderes Mitglied vergeben werden, in der Praxis fällt diese Aufgabe jedoch fast immer aufgrund der gesetzlichen wie äußeren Umstände dem Vorsitz zu. Damit wird es für ihn jedoch schwer bis unmöglich, andere Rollen zu übernehmen und eine eigene Meinung in der Sache ggf. hart zu vertreten. Tut er dies dennoch und begibt sich damit in die „Niederungen“ der subjektiven Einschätzung, so wird er immer bei den anderen Bedürfnisse nach Respekt, Würde, Anstand und Orientierung verletzen.

Es muss jedoch klar sein, dass der Vorsitz in der Sache keine Orientierung geben darf. Eine Richtlinienkompetenz wie bei der Kanzlerin sieht das Betriebsverfassungsgesetz nicht vor, das Gremium findet aus sich selbst heraus seine Richtung. Hinsichtlich Moral, Umgang und Menschlichkeit darf und sollte der Vorsitz durchaus Orientierung geben. Insbesondere dann, wenn der Betriebsrat ein wertebasiertes Leitbild für sich erarbeitet hat, muss im Gremium eine Wächterrolle etabliert werden, die im Falle der Abweichung das Gremium wieder auf Kurs bringt. Dies erfolgt idealerweise durch ein Gremienmitglied, welches durch Rolle und Person mit moralischer Integrität und natürlicher Autorität die nötige Überzeugungskraft besitzt.

Ein weiser BR-Vorsitz, dem die Menschen im Gremium am Herzen liegen, wird also eher mehr „gauckeln“ als denn „merkeln“, wird sich eher als moralisch integer als denn machtpolitisch durchsetzungsstark zeigen. In Diskussionen wird er mehr moderieren als polarisieren, „staatstragend“ die gemeinsamen Werte betonen und jeden Einzelnen aktiv wertschätzen. Neben der neutralen und einwandfreien Erledigung seiner Pflichten und der inhaltlichen Durchdringung aller Sachthemen wird er sich daher insbesondere um die emotionalen Bedürfnisse seiner Teammitglieder kümmern müssen. Förderliche mütterliche wie väterliche Eigenschaften dürfen dabei gern gezeigt werden.

Aufgaben des Vorsitzes nach dem Gesetz:

  • Einberufung der Sitzungen
  • Erstellung der Tagesordnung
  • Leitung der Sitzung (Eröffnung, Leitung, Schließung)
  • Leitung der Betriebsversammlung
  • Teilnahme an den Sitzungen der JAV
  • Abgabe von Erklärungen für den Betriebsrat im Rahmen der gefassten Beschlüsse
  • Entgegennahme von Erklärungen
  • Laufende Geschäfte, wenn sie übertragen werden:
    • Vorbereitung und Ausführung der Beschlüsse des BR
    • Erledigung des Schriftverkehrs
    • Organisation des BR-Büros
    •  Räumliche, inhaltliche und organisatorische Vorbereitung von Sitzungen und Versammlungen
    • Ablage von Mitteilungen, Notizen und Protokollen
    • Beschaffung und Verteilung von Informationen und Unterlagen
    • (Vor-) Besprechungen mit Arbeitgeber und Gewerkschaften
    • Entwurf von Betriebsvereinbarungen
    • Entgegennahme von AN-Anträgen
    • Voruntersuchung von Beschwerden und Anregungen
    • Erledigung aller Aufgaben, die die ordnungsgemäße Aufgabenerledigung durch den BR sicherstellen
  • Teilnahme im Betriebsausschuss

 

 weitere Aufgaben

  • Verhandlungsführung
  • Moderation
  • Informationsbeschaffung, -aufbereitung, -weitergabe
  • Entwicklung und Aufrechterhaltung einer Organisationsstruktur
  • Schaffung einer hohen eigenen Fachkompetenz
  • Ausstrahlen von Souveränität, Kompetenz, Macht, Integrität und Sicherheit
  • Selbsterkenntnis in Bezug auf eigenes Konfliktverhalten und Verhaltensmuster
  • Kompetente Selbstregulation von (emotionalem) Stress
  • Erzeugen eines BR-Images in der Öffentlichkeit durch eigenes Verhalten
  • Führen von Konfliktgesprächen inner- und außerhalb des Gremiums
  • Schutz für die BRM nach Außen und ggf. auch nach Innen
  • Teamentwicklung
  • Einbindung der unterschiedlichen Personen und Strömungen im BR
  • Sensible Beratung in schwierigen persönlichen Situationen
  • Aufbau und Pflege eines Netzwerkes, bestehend aus Mitarbeitern, anderen BR, Rechtsanwälten, Gewerkschaft, Schulungsanbietern usw.
  • Inhaltliche Durchdringung aller den BR beschäftigenden Themen

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