Prozesskostenhilfe: „Gleichheit vor dem Gesetz“ gibts bald nicht mehr für alle Bürger

Wie überall bleiben auch in der Arbeitswelt Recht und Ordnung manchmal auf der Strecke; je härter die Zeiten, desto öfter. Doch wer als Arbeitnehmer zu seinem Recht kommen will, braucht nicht nur Nerven, sondern auch Geld, denn in der ersten Instanz vor deutschen Arbeitsgerichten zahlt jede Seite ihre Kosten selbst, unabhängig vom Ausgang des Verfahrens. Hier kommen nun zwei Faktoren unglücklich zusammen: in den untersten Einkommensgruppen häufen sich leider auch die arbeitsrechtlichen Probleme. Da hilft dann bisher die Prozesskostenhilfe (PKH), wenn auch einkommensschwache Arbeitnehmer den Rechtsweg beschreiten wollen und oft auch müssen. Doch die PKH droht nach dem Willen der Koalition (unter Federführung des FDP-geführten Justizministeriums) zu einer exklusiven Veranstaltung zu werden.

Seit Mitte des vergangenen Jahres versetzte ein Referentenentwurf aus dem Hause der Justizministerin den Stein ins Rollen, der mit der ersten Lesung im Bundestag im Februar dieses Jahres und dem Verweis in verschiedene Ausschüsse noch lange nicht ausgerollt ist und deshalb immer noch droht, einen erheblichen Teil (ca. 126.000) der rechtsuchenden Bürger einfach plattzuwalzen.

In der Öffentlichkeit wurde dieses Thema bisher kaum wahrgenommen, was wohl an erheblicher Verdrängung einer Situation liegen mag, die sich niemand für sich selbst überhaupt nur vorstellen mag. Gleichwohl zeigt die Berichterstattung, dass eine große Bandbreite an Kritikern (von Richtern über Anwaltsvereinigungen (1, 2) und Gewerkschaften (1) bis hin zum Parteifreund der Justizministerin Gerhard Baum) das Regierungsansinnen ablehnt.

Im Kern geht es um Folgendes:

  • Kein direkter Zugang von einkommensschwachen Menschen mehr zu Rechtsanwälten. Stattdessen soll ein Rechtspfleger einen entsprechend begründeten Antrag bewilligen.
  • Überprüfung der Motivation zur Klageerhebung („mutwillige Rechtsverfolgung“).
  • Die Einkommensschwelle soll für den Zugang zu Rechtshilfen um rund 100 Euro in Richtung Hartz-IV-Niveau abgesenkt werden.
  • Die Rückzahlung der Kosten soll laut Entwurf auf sechs Jahre verlängert werden.

Es wird befürchtet, dass nicht nur bisher anspruchsberechtigte Bürger aus dem System der PKH hinausgedrängt werden, sondern auch viele andere von der Klageerhebung durch die aufgebauten Hürden (Offenlegung der Vermögensverhältnisse, langjährige Rückzahlungsverpflichtungen usw.) frühzeitig abgeschreckt werden.

Vor diesem Hintergrund gewinnt unsere stetig wiederholte Empfehlung, als Arbeitnehmer rechtzeitig eine auch Arbeitsrecht/Berufsrecht abdeckende Rechtsschutzversicherung (VergleichsmöglichkeitTestübersicht) abzuschließen, erneut an Bedeutung. Hier muss jedoch mit Mehrkosten von über 100 Euro/Jahr gerechnet werden.

Wer jetzt als Gewerkschaftsmitglied denkt, er sei fein raus, muss sich mit der rauen Wirklichkeit anfreunden: Mit dem im Mitgliedsbeitrag enthaltenen Rechtsschutz ist in der Regel keine freie Anwaltswahl verbunden. Man muss also damit leben, welchen Anwalt die Gewerkschaft zuteilt bzw. überhaupt zur Verfügung hat. Da es in arbeitsrechtlichen Verfahren um Einiges geht und anwaltliche Vertretung Vertrauenssache ist, liegt hier schon eine potentielle Quelle für Unmut und Unzufriedenheit. Doch es gibt noch eine andere denkbare Problemstellung, wie uns das Bundesarbeitsgericht (BAG, 05.11.2012, 3 AZB 23/12) zeigt:

Ein Arbeitnehmer erhielt vom Arbeitsgericht Prozesskostenhilfe zugebilligt, im Zuge des Verfahrens verglichen sich die Parteien. Der Bezirksrevisor erkannte jedoch in dem gewerkschaftlichen Rechtsschutz, den der Arbeitnehmer als Gewerkschaftsmitglied genoß, zu verwertendes Vermögen und legte Beschwerde gegen die Gewährung der PKH ein. Daraufhin verpflichtete das Arbeitsgericht den Arbeitnehmer zur Zahlung seiner Gerichtsgebühren und Anwaltskosten.

Das BAG hat nun dazu festgestellt, dass ein zwar bedürftiger Arbeitnehmer, der einen Anspruch auf gewerkschaftlichen Rechtsschutz hat, keinen Anspruch auf PHK hat, es sei denn

  • die Gewerkschaft hat die Gewährung des Rechtsschutzes abgelehnt,
  • es scheint sicher, dass der Rechtsschutz von der Gewerkschaft abgelehnt wird,

oder aber

  • es liegt eine erhebliche Störung zwischen Arbeitnehmer und seiner Gewerkschaft vor. Diese Gründe sind bei Antragstellung zur PKH im Einzelnen darzulegen.

Zum letztgenannten Punkt, der dem Arbeitnehmer vielleicht wie ein Ausweg erscheinen mag, macht das BAG eine interessante Anmerkung: Danach ist es für die Annahme einer Zerrüttung des Vertrauensverhältnis nicht ausreichend, wenn der Arbeitnehmer als Grund angibt, der Vertreter der Gewerkschaft habe nach dem Gütetermin die Erfolgsaussichten für das Verfahren negativ beurteilt und er könne sich nicht mehr auf dessen Rat verlassen.

Ob es tröstlich ist, dass ein solcher Arbeitnehmer nach dem Willen der Regierung vermutlich gar nicht erst in einer solchen Falle säße, mag hier dahingestellt bleiben.

 

Für Arbeitnehmer, die keine Gewerkschaftsmitglieder sind oder, falls ja, sich nicht auf den Rechtsschutz der Gewerkschaft verlassen wollen, gilt unabhängig von der Einkommenshöhe die Empfehlung, einen separaten Berufs-/Arbeitsrechtsschutz abzuschließen oder aber eine bestehende Rechtsschutz-Police um dieses Gebiet zu ergänzen. Aufgrund der fast überall üblichen Wartefrist sollte der Abschluss allerspätestens mit den allerersten kleinen Anzeichen für mögliche Rechtsstreitereien erfolgen. Obwohl die in den unteren Einkommensgruppen oftmals finanziell unmöglich erscheint, kann eine solche Versicherung dazu beitragen, sich emotional wie praktisch unabhängiger von fragwürdigen Arbeitsbedingungen zu machen.

Betriebsräte sollten ihre KollegInnen offensiv über dieses Thema aufklären und ggf. als Serviceleistung entsprechend passende wie günstige Anbieter heraussuchen und Antragsmaterial bereithalten. Sie können ihren Informationsvorsprung nutzen und gezielt gefährdete KollegInnen ansprechen und Empfehlungen aussprechen. Dabei sollten sie unbedingt darauf hinweisen, dass sich Rechtsstreitigkeiten mit dem Arbeitgeber nicht in Kündigungsschutzverfahren erschöpfen, sondern dass die ganze Bandbreite der arbeitsvertraglichen Haupt- und Nebenpflichten Anlass bieten kann, gegen den Arbeitgeber arbeitsgerichtlich vorgehen oder sich gegen seine Klage wehren zu müssen.

Arbeitgeber können lästigen und teuren Klagen durchaus aus dem Wege gehen:

  • Sie erfüllen die arbeitsvertraglichen Haupt- und Nebenpflichten vollständig und unverzüglich und gestalten die Arbeitsbedingungen zur Zufriedenheit ihrer Mitarbeiter.
  • Sie zeigen im Streitfalle die Bereitschaft zur einvernehmlichen Lösungsfindung außerhalb des gerichtlichen Verfahrens und machen Angebote, die die Interessen ihres Mitarbeiters zufriedenstellen können.
  • Sie bieten langfristige Beschäftigungsperspektiven und übernehmen selbst die Verantwortung für Fehlentwicklungen.
  • Sie sorgen für arbeitsrechtliche Uninformiertheit bei ihren Mitarbeitern und können eine glaubwürdige Drohkulisse gegen etwaige Klagebestrebungen aufbauen.
  • Sie definieren ihre Begriffe von Loyalität, Haltung, Selbstverständnis, Zugehörigkeit, Leistung und sozialem Ansehen prägnant und propagieren diese beständig sich wiederholend.
  • Sie verringern das Selbstwertgefühl ihrer Mitarbeiter durch wiederkehrende Angriffe auf deren Ansehen, Wert und Bedeutung sowie Entzug von sinnstiftendem Tun.

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