Beweislast bei angeblich vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit

Haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer Streit miteinander, kann eine Arbeitsunfähigkeit schnell zu einer weiteren Eskalation führen. Hier gibt es insbesondere für den Arbeitgeber einige Stolperfallen, wie ein ebenso dämlicher wie dreister Fall des Landesarbeitsgerichtes Mainz (6 Sa 188/13, 08.10.2013) zeigt. 

Danach soll der Geschäftsführer eine erst kürzlich eingestellte Arbeitnehmerin in seinem Büro derart attackiert haben, dass diese sich aufgrund heftiger Magenbeschwerden und anderer psychosomatischer Beschwerden anschließend Arbeitsunfähig schreiben lassen musste.

Im Anschluss griff der Geschäftsführer zu einem durchaus kreativen Mittel: er nahm  zwei Tage nach dieser Auseinandersetzung Bezug auf die von der Arbeitnehmerin am Tage der Auseinandersetzung ausgesprochene Kündigung und bestätigte die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses in beiderseitigem Einvernehmen! Die zwischenzeitlich eingegangene Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung lag anbei.

Die wohl recht erstaunte Arbeitnehmerin teilte daraufhin mit, dass sie nicht gekündigt habe. Daraufhin kündigte ihr der Arbeitgeber fristlos, da er, wie er im anschließenden Kündigungsschutzverfahren darlegte, die tatsächliche Erkrankung mit Nichtwissen bestreite.

Um es kurz zu machen: Der Arbeitgeber unterlag in diesem Verfahren, da er die Glaubwürdigkeit des ärztlichen Attestes, dem zunächst eine erhebliche Beweiskraft zukommt, nicht ausreichend erschüttern konnte. Simples Bestreiten und die Berufung auf ein Gespräch, das die Arbeitnehmerin im zeitlich nahen Zusammenhang mit einer Kollegin geführt hatte und dessen Inhalt der Arbeitgeber als „Ankündigung“ der Krankheit deutete, reichen nicht aus, um einen stichhaltigen Grund für eine außerordentliche Kündigung zu geben.

Zur Beweislast bei Arbeitsunfähigkeit hat das Arbeitsgericht ausgeführt:

Legt der Arbeitnehmer ein ärztliches Attest vor, so begründet dies in der Regel den Beweis für die Tatsache der zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung. Ist es dem Arbeitgeber allerdings gelungen, den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern bzw. zu entkräften, ist es nunmehr wiederum Sache des Arbeitnehmers, angesichts der Umstände, die gegen eine Arbeitsunfähigkeit sprechen, weiter zu substantiieren, welche Krankheiten vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben, welche Verhaltensmaßregeln der Arzt gegeben hat, welche Medikamente z. B. bewirkt haben, dass der Arbeitnehmer zwar immer noch nicht die geschuldete Arbeit bei seinem Arbeitgeber verrichten konnte, aber zu leichten anderweitigen Tätigkeiten in der Lage war. Wenn der Arbeitnehmer dieser Substantiierungspflicht nachgekommen ist und ggf. die behandelnden Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbunden hat, muss der Arbeitgeber aufgrund der ihm obliegenden Beweislast den konkreten Sachvortrag des Arbeitnehmers widerlegen. Es ist auch zu prüfen, ob die Umstände, die den Beweiswert des ärztlichen Attestes erschüttern, nicht als so gravierend anzusehen sind, dass sie ein starkes Indiz für die Behauptung des Arbeitgebers darstellen, die Krankheit sei nur vorgetäuscht gewesen, so dass der Arbeitnehmer dieses Indiz entkräften muss .

 

Aus diesem Fall lassen sich ein paar Tipps ableiten:

Hat man als Arbeitgeber Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit, kann der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) eingeschaltet werden. Dessen Überprüfungsergebnis kann das Attest am besten erschüttern. Ein Detektiv kann Beweise für genesungswidriges Verhalten beschaffen, ebenso ein Blick in die sozialen Netzwerke. Betriebsintern sollte eine Protokollnotiz verfasst werden, die die Umstände festhält und ggf. vorhandene Zeugen benennt.

Arbeitnehmer sollten Personalgespräche immer mit einem Zeugen zu führen versuchen. Besteht ein Betriebsrat, besteht das Recht, ein Betriebsratsmitglied der Wahl mitzunehmen; ist dies nicht verfügbar, muss das Personalgespräch warten. Auch bei noch so großem Druck sollte man sich nicht zu beleidigenden Äußerungen und zur Unterzeichnung irgendwelcher Papiere hinreißen lassen; im Zweifel lieber schweigen und vorgelegte Dokumente mitnehmen, um sie anwaltlich prüfen zu lassen (Merke: die meisten Drohungen sind rechtlich völlig haltlos und sollen ebenso wie Zwang nur zu unüberlegten Handlungen verleiten!). Keinesfalls mit Krankheit drohen und auch nicht gegenüber Kollegen ankündigen! Im Krankheitsfall ordnungsgemäß abmelden (Zeugen!) und keine näheren Angaben machen (auch gegenüber Kollegen). Wenn erforderlich, Arzt oder Notfallpraxis unverzüglich aufsuchen. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) entweder mit Zeugen persönlich abgeben oder per Einwurfeinschreiben zusenden, wobei auch hier ein Zeuge für das korrekte Eintüten der AUB hilfreich ist. Protokoll des Vorfalls anfertigen und auch alle weiteren Ereignisse aufnehmen. Keine Angaben zur Arbeit, zum Arbeitgeber, zum Vorfall, zum Aufenthaltsort und zur Krankheit in sozialen Netzwerken machen. Bei Kontrollanrufen diese untersagen, keine konkreten Angaben zur Krankheit und voraussichtlichen Dauer machen, auf die AUB verweisen. Mit dem Arzt absprechen, was erlaubt ist und keine darüber hinausgehenden genesungswidrigen Aktivitäten zeigen; den Arzt die erlaubten Aktivitäten in die Krankenakte aufnehmen lassen. Bei eingehenden Kündigungen unverzüglich rechtliche Beratung aufsuchen und eine etwaige Kündigungsschutzklage binnen 3 Wochen ab Zugang der Kündigung beim Arbeitsgericht erheben.

Wer es als Betriebsrat mit einer Betriebskultur wie im vorliegenden Fall zu tun hat, kann ohne weiteres beim Arbeitgeber dagegen intervenieren und für einen förderlichen Umgang auch bei Konflikten und gerade bei Krankheit eintreten. Außerdem kann er die KollegInnen über ihre oben beschriebenen Rechte und Handlungsmöglichkeiten offensiv hinweisen. Und nicht zuletzt den Abschluss einer das Arbeitsrecht abdeckenden Rechtsschutzversicherungen empfehlen.

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