Nach Hitzlsperger-Outing: Wie sieht´s in den Betrieben aus?

von Mediator und Coach Sebastian Schoberansky

Ich gestehe: Ich bin hetero – und ich bin latent lesben- und schwulenfreundlich (Na, mal ehrlich, so ganz unter uns: haben Sie auch zweimal hingucken müssen, weil Ihnen Ihr Gehirn ein „-feindlich“ unterschummeln wollte? Ts, ts, ts, immer diese Vorannahmen…). Ich habe das überlebt (und gar nicht mal schlecht), wovor sich viele homophobe Menschen, ob im Sport oder anderswo, fürchten: Seit meiner frühesten Jugend habe ich engen Kontakt zu homosexuellen Menschen, privat wie beruflich.  

Einer meiner engsten Schulfreunde hatte sein Coming-out mit 14 Jahren, durch ihn hatte ich während Schul-, Zivildienst- und teilweise noch Studienzeit einigen Kontakt zu schwulen Männern. Ich lebe mit einer Frau zusammen, die vorher 12 Jahre als Lesbe gelebt hat. Durch sie habe ich einen intensiven Einblick in die „Szene“ bekommen, habe erfahren, wie bunt durchmischt auch dort Persönlichkeiten, Ansichten, Lebensweisen und Berufe sind. Ihre Freundinnen sind ebenso eine Bereicherung für mein Leben wie es meine schwulen oder heterosexuelle Freunde sind.

Gearbeitet habe ich zugegebenermaßen in einem Biotop. Ob als Schüler in verschiedenen musikalischen Kreisen (auch kirchlichen), als Musik-Student oder später in verschiedenen Musiktheatern, immer war es völlig selbstverständlich, dass dort eine hohe Zahl an homosexuellen Menschen unterwegs war. Das Geschlechterverhältnis pendelte meist um 50:50 herum, im Wahlvorstand für Betriebsratswahlen war der Scherz beliebt, dass das Geschlecht in der Minderheit der heterosexuelle Mann ist. Von jeher waren auch die Führungskräfte bunt durchmischt.

Habe ich mich bei „den Homos“ angesteckt? Nun, ich würde es eher als „steter Tropfen höhlt den Stein“ bezeichnen. Ich bin durch den Kontakt sicher nicht nur offener für andere Lebens- und Denkweisen geworden, sondern empfinde Freude und Bereicherung, wenn Menschen zu einer breiteren Verhaltens- und Denkbandbreite fähig sind. Krank machen mich tumbe, charmebefreite Männer, die immer noch dem traditionellen Schwanzvergleich über „wer hat das dickere Auto, das größere Büro, den eingangsnäheren Parkplatz, die bessere Leber“ und andere peinliche Absurditäten frönen, krank machen mich Geschäftsführer, die sich entblöden, in Gegenwart von Mitarbeiterinnen und Dienstleisterinnen dem einzigen anderen Mann in der Runde mit dröhnend vorgetragenen frauenfeindlichen Witzen der untersten Schublade imponieren zu wollen (kein Scherz, selbst erlebt!), krank machen mich gesellschaftliche Gruppierungen, die Sexualität stigmatisieren, dämonisieren und am liebsten tabuisieren würden.

Meine Erfahrung lässt sich ganz einfach zusammenfassen: Sie sind überall! Sie sehen aus wie Sie und ich! Sie leben so unterschiedliche Leben wie Sie und ich! Sie sind Leistungsträger und Stützen der Gesellschaft wie Sie und ich! Und sie sind genauso gefährlich für die anderen wie Sie und ich!

Und es funktioniert miteinander! Denn wenn es mal nicht funktioniert hat, dann lag das ganz sicher nicht am Geschlecht oder an der sexuellen Orientierung, sondern eher an Machtstrukturen und -verhalten, die man eigentlich mit traditionellen Männerbünden in Verbindung bringt. Vielleicht ist es die wichtigste Erkenntnis, dass weder das Geschlecht noch die Orientierung gegen die Macht patriarchalischer Führungskulturen immunisiert.

Wer es gewöhnt ist, dass neben einem ein schwuler Mann oder eine lesbische Frau arbeitet, dass die Abteilungsleitung schwul oder eine Frau ist, dass der Geschäftsführer eine Geschäftsführerin ist, dass Kollegen eher aus der Karibik als aus Kassel stammen, der kann viele der Probleme und Diskussionen nur schwer nachvollziehen.

Ich habe die Hoffnung, dass es den schwulen- oder sonstwiefeindlichen Witzen irgendwann so ähnlich geht, wie der Erbfeindschaft oder dem Ostfriesenwitz: sie verschwinden einfach. Vielleicht, weil wir erkennen, wie albern und kindisch sie eigentlich sind (wer kann heute noch die angeblich tradierte „Erbfeindschaft“ mit Frankreich nachvollziehen bzw. denkt noch in den damals vorherrschenden peinlichen Strukturen wie „Ehre“, „Volkszugehörigkeit“ oder „Schmach“, oder kann noch über jämmerlich-unkomische Witze á la „Ein Ostfriese, ein Bayer, …“ lachen). Vielleicht werden wir aber auch persönlich so stark, dass wir unsere Ängste und Schwächen nicht durch InGroup-OutGroup-Phänomene kompensieren müssen, unser Profil selbst definieren und schärfen, ohne uns zwanghaft von anderen abgrenzen zu müssen.

In diesem Sinne muss man sich, frei nach der amerikanischen Vorliebe, Kriege anzufangen, um von den inneren Problemen abzulenken, die Frage stellen, welche tatsächlichen inneren Probleme Gruppierungen, ob nun im Fussball oder anderswo, haben, wenn sie sich als ausgeprägt …-feindlich zeigen. So betrachtet ist die …-feindlichkeit nur Symptom, sind Initiativen wie die des DFB gegen Rassismus, Homophobie usw. zum Scheitern verurteilte Symptomkuriererei (wenn nicht gar gewollter Aktionismus), die die eigentliche „Krankheit“ (um einen von den Homophoben gern benutzen Begriff zu gebrauchen) gar nicht angehen. Aber dazu müsste man ja eine schonungslose Diagnose durchführen, müsste sich die Gruppierung und vielleicht auch die Gesellschaft mal genau selbst anschauen. Aber wer will oder kann das schon, also haut man lieber auf einen vermeintlich Schwächeren.

Aber geht es wirklich nur um Homosexualität? Mit der Einführung des „Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG)“ ist auch einer breiten Masse in der Arbeitswelt bewusst geworden, dass Handlungsbedarf in Bezug auf Diskriminierungen aufgrund weiterer Gründe oder Anlässe besteht. Das Gesetz nennt einige Tatbestände, aber in der Praxis der Betriebe erleben wir immer wieder Diskriminierungen bzw. Mobbing aus einer fast unbegrenzten Zahl an weiteren Gründen. Wer schützt eigentlich Männer, die mehr als die Schamfrist von 2-3 Monaten an Elternzeit nehmen, vor genervten Äußerungen der Kollegen á la „Na, schönen Urlaub gehabt?“, wer schützt Vegetarier in der Kantine vor hämischen Kommentaren über „Kaninchenfutter“, wer schützt Betriebsräte vor der verbreiteten Annahme, man würde dort nur Kaffeetrinken? Usw. usw.!

Nach meiner Erfahrung sind Anfeindungen (die gehen meist schon damit los, dass man sich über jemanden lustig machen muss) nichts als Ausdruck persönlicher Defizite. Kleinheitsgefühle, geringes Selbstwertgefühl, seelische Verletzungen, mangelnde Reflektionsfähigkeit und Selbsterfahrung bzw. -erkenntnis, papageienhaftes Nachplappern von vorgefertigten Ansichten und nicht zuletzt ganz viel Angst münden in den Versuch, andere (noch) kleiner zu machen als man selbst ist. Da kommen dann einschlägige Parolen und ein entsprechendes Umfeld, sei es eine Fankurve oder eine Kirche, gerade recht: Hauptsache man gehört zu irgendwem, muss nicht nachdenken und kann sich als besserer Mensch fühlen. Soviel Erbärmlichkeit macht wirklich traurig.

Dabei sind solche Äußerungen etwa genauso qualifiziert und hochwertig, wie die von jenen unserer Vorfahren, die über „den Franzmann“ schwadroniert haben: von denen war kaum einer mal in Frankreich, geschweige denn, er hatte einen Franzosen einmal näher kennengelernt. Wer sich homophob, ausländer-, männer- oder frauenfeindlich äußert, hat meist keine Erfahrung mit dem oder einen wie oben dargestellt ziemlich getrübten Einblick in das, worüber er urteilt. Mit anderen Worten: Er hat keine Ahnung, worüber er spricht. Wie peinlich ist das denn?

Wer andere aufgrund eines bestimmten Merkmals abwertet, diskriminiert oder gar schikaniert und bekämpft, der hat eines leider nicht kapiert und erweist sich damit schlicht als ziemlich dämlich: auch für den Abwerter, Diskriminierer und Mobber lassen sich von anderen Merkmale finden, die allein aufgrund dieser Merkmale eine Abwertung, Diskriminierung usw. zulassen. Wer also so handelt, trägt letztlich dazu bei, dass auch er selbst schneller zu einem Opfer von Anfeindungen werden kann. Es ist dumm zu glauben, man könne es kontrollieren und beeinflussen, ob man zum Opfer wird.

Thomas Hitzlsperger mag individuellen Mut bewiesen haben, aber dass sich jetzt so viele klassisch-heterosexuell geprägte Menschen und vor allem auch Institutionen bis hin zum britischen Premierminister Cameron berufen fühlen, seinen Mut über Gebühr zu betonen, zeigt mir, dass wir als Gesellschaft noch einen weiten Weg zu gehen haben. Daher darf die Fokussierung auf den Sport nicht als Feigenblatt dienen, nicht mehr gegen alle Arten von Ausgrenzung und Anfeindung in anderen Bereichen unserer Gesellschaft, insbesondere im Arbeitsleben, anzugehen. Dies tagtäglich zu tun, dazu gehört leider immer noch Mut, sollte aber jedem selbstverständlich sein.

2 Gedanken zu “Nach Hitzlsperger-Outing: Wie sieht´s in den Betrieben aus?

  1. Homos- und Transsexuelle dürfen nicht diskriminiert werden. Zum Glück macht das Outing Prominenter es leichter, dafür zu kämpfen.
    Aber nicht *jede* sexuelle Orientierung ist unproblematisch (https://de.wikipedia.org/wiki/Paraphilie).
    Wenn man undifferenziert das Ausleben aller sexuellen Orientierungen als Menschenrecht bezeichnete (wie in der SZ geschehen), wäre das ein Rückfall in die Pädophilendiskussion der 80er Jahre.
    Mehr dazu: http://fontanefansschnipsel.blogspot.de/2014/01/netzwerk-lsbttiq-und-kritik-ideologie.html

  2. Aus meiner Sicht ist jede sexuelle Orientierung an sich völlig unproblematisch. Da der Mensch grundsätzlich zu allem fähig ist, halte ich normative Stigmatisierungen für den förderlichen Umgang mit den verschiedenen Neigungen kaum für hilfreich. Schließlich zeigt die Diskussion um Homosexualität, wie wenig quasi naturgesetzlich festgelegt ist. Man vergleiche nur einmal die Diskussion und auch Gesetzgebung von heute mit der von vor nur wenigen Jahrzehnten.
    Allerdings wird meiner Meinung nach sogar eine mainstreamige heterosexuelle Orientierung zum Problem, wenn sie in der Form ausgelebt wird, dass andere dadurch beeinträchtigt oder gar geschädigt werden und das Ausagieren nicht einvernehmlich erfolgt. Dies bedeutet für einige Neigungen (insbesondere diejenigen, die mit Kindern zu tun haben), dass sie schlichtweg nicht ausgeübt werden können. Dass in den Köpfen etwas anderes als bei mir passiert, kann und muss ich erstmal akzeptieren. Dies hilft mir, nicht in die pars-pro-toto-Falle zu tappen und völlig blind für anderes zu werden.

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