Betriebsrätemodernisierungsgesetz: Etwas Kosmetik – Erschwerung von Betriebsratsgründungen

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) freut sich über seinen neuen Gesetzentwurf, doch bei den Praktikern hält sich die Freude stark in Grenzen. Zu vieles klingt nur auf den ersten Blick gut und offenbart auf den zweiten Blick nur schwache bis keine Problemlösungen. Von einer echten Anpassung an die Herausforderungen der Arbeit im 21. Jahrhundert kann gar nicht die Rede sein. Wir analysieren und kommentieren die neuen Regelungen im Detail:

Artikel 1
Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes
(Regierungsentwurf, Stand 31.03.2021, BMAS)

Das Betriebsverfassungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. September 2001 (BGBl. I S. 2518), das zuletzt durch Artikel 6 des Gesetzes vom 20. Mai 2020 (BGBl. I S. 1044) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

  1. § 14 Absatz 4 wird wie folgt gefasst:„ (4) In Betrieben mit in der Regel bis zu 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern bedarf es keiner Unterzeichnung von Wahlvorschlägen. Wahlvorschläge sind in Betrieben mit in der Regel 21 bis 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern von mindestens zwei wahlberechtigten Arbeitnehmern und in Betrieben mit in der Regel mehr als 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern von mindestens einem Zwanzigstel der wahlberechtigten Arbeitnehmer zu unterzeichnen. In jedem Fall genügt die Unterzeichnung durch 50 wahlberechtigte Arbeitnehmer.“
  2. § 14a wird wie folgt geändert:
    1. a)  In Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 Satz 1 wird jeweils das Wort „fünfzig“ durch die Angabe „100“ ersetzt.
    2. b)  In Absatz 5 wird die Angabe „51 bis 100“ durch die Angabe „101 bis 200“ ersetzt.

Eine Vereinfachung für die EinreicherInnen von Wahlvorschlägen, die in der Praxis kaum Bedeutung haben wird, da schon heute kaum ein Problem besteht: Da sich auf einem Wahlvorschlag die WahlbewerberInnen auch selbst unterstützen können, tragen diese sich idR, nachdem sie ihre Kandidatur oben auf dem Wahlvorschlag mit ihrer Unterschrift bestätigt haben, gleich unten in die Liste der UnterstützerInnen ein. Die derzeit noch zu erreichende Zahl von mindestens 5 UnterstützerInnen in Betrieben bis 100 wahlberechtigten Arbeitnehmerinnen nun auf 2 zu reduzieren, ist eine Lösung für ein Problem, das in der Praxis nicht wirklich besteht.

Die Erweiterung des sogen. „Vereinfachten Wahlverfahrens für Kleinbetriebe“ auf Betriebe bis nun 100 ArbeitnehmerInnen und die mögliche Ausdehnung dieses Verfahrens auf Betriebe bis nun 200 ArbeitnehmerInnen dehnt auch die besondere Schwierigkeit dieses Verfahrens bei der erstmaligen Wahl eines Betriebsrats aus: Der Wahlvorstand muss bereits in derselben Versammlung, auf der er gewählt wurde, Entscheidungen von weitreichender rechtlicher Bedeutung für das weitere Verfahren treffen (Wahlausschreiben, Wählerliste), um dann innerhalb einer Woche dafür zu sorgen, dass eine korrekte Wahlversammlung zur Wahl des Betriebsrats durchgeführt werden kann. In der Praxis stellt dies eine enorme Hürde dar, da dieser Wahlvorstand sich aufgrund des gesetzlich vorgesehenen Zeitablaufs kaum mit der komplexen Materie beschäftigen, geschweige denn ausreichend schulen lassen kann. Schließlich gehören Fragen der Arbeitnehmereigenschaft und des Betriebsbegriffs auch für gestandene Juristen zu denen, die sich nur nach eingehender Prüfung sicher beantworten lassen (Betriebsräte und Wahlvorstände sind in aller Regel juristische Laien!). Mit der neuen Vorschrift wird für die breite Masse von Betriebsratsgründungen das Risiko von fehlerhaften Wahlen und damit erfolgreichen Anfechtungen massiv erhöht, denn eine umfassende juristische Prüfung und Beratung kann im zweistufigen Vereinfachten Wahlverfahren nicht stattfinden. Und wer sich mit dem Gedanken trägt, Wahlvorstandsmitglied zu werden, wird von der Überforderung abgeschreckt werden. War das Wort „Vereinfachtes Wahlverfahren“ schon bis jetzt ein Euphemismus, so werden diesen nun eine große Zahl an überforderten Wahlvorständen zu spüren bekommen.

Hürde gesenkt? Von wegen!

Doch noch ein zweiter Aspekt dieser Neuregelung ist problematisch: Bisher bedeutete das Vereinfachte Wahlverfahren nur für Betriebe bis 50 ArbeitnehmerInnen die zwingende Anwendung der Personenwahl. Jetzt soll dieses zwar beliebte, aber demokratisch problematische Verfahren auch auf größere Betriebe bis 200 ArbeitnehmerInnen ausgedehnt werden. Die Chance für den etwas stilleren, nicht in der Kantine das große Wort führenden, aber für die Betriebsratsarbeit viel kompetenteren Arbeitnehmer, über einen guten Listenplatz in den Betriebsrat gewählt zu werden, sinkt beträchtlich. Die Gefahr, dass allgemein im Betrieb bekanntere Führungskräfte gewählt werden, steigt deutlich an. Damit wird es in der Zukunft mehr arbeitgebernahe Betriebsräte geben.

Ob wohl PolitikerInnen ebenso bereit wären, auf die Möglichkeit eines sicheren Listenplatzes bei ihren Wahlen zu verzichten?

3. Dem § 19 wird folgender Absatz 3 angefügt:„(3) Die Anfechtung durch die Wahlberechtigten ist ausgeschlossen, soweit sie darauf gestützt wird, dass die Wählerliste unrichtig ist, wenn nicht zuvor aus demselben Grund ordnungsgemäß Einspruch gegen die Richtigkeit der Wählerliste eingelegt wurde. Dies gilt nicht, wenn die anfechtenden Wahlberechtigten an der Einlegung eines Einspruchs gehindert waren. Die Anfechtung durch den Arbeitgeber ist ausgeschlossen, soweit sie darauf gestützt wird, dass die Wählerliste unrichtig ist und wenn diese Unrichtigkeit auf seinen Angaben beruht.“

Diese Neuerung wird in der Praxis vielleicht eine gewisse Reduzierung bestimmter Anfechtungen zur Folge haben, hat aber für die gewählten Betriebsräte kaum Bedeutung, da sie bis zur Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung normal im Amt sind und sie, sollte sich ein Erfolg der Anfechtung abzeichnen, immer noch rechtzeitig einen neuen Wahlvorstand bestellen, kollektiv zurücktreten und dann kommissarisch die Amtsgeschäfte weiterführen können (soweit nicht die Nichtigkeit der Wahl festgestellt wird). Die Erhöhung der Fehlerquote durch die Ausweitung des „vereinfachten Wahlverfahrens“ bei Erstgründungen wird die beabsichtigte Reduzierung aber sicher mindestens ausgleichen.

4. § 30 wird wie folgt geändert:

  1. a)  Der Wortlaut wird Absatz 1 und folgender Satz wird angefügt: „Sie finden als Präsenzsitzung statt.“.
  2. b)  Die folgenden Absätze 2 und 3 werden angefügt:

„(2) Abweichend von Absatz 1 Satz 5 kann die Teilnahme an einer Betriebs- ratssitzung mittels Video- und Telefonkonferenz erfolgen, wenn

  1. die Voraussetzungen für eine solche Teilnahme in der Geschäftsordnung unter Sicherung des Vorrangs der Präsenzsitzung festgelegt sind,
  2. nicht mindestens ein Viertel der Mitglieder des Betriebsrats binnen einer von dem Vorsitzenden zu bestimmenden Frist diesem gegenüber widerspricht und
  3. sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können.

Eine Aufzeichnung der Sitzung ist unzulässig.

(3) Erfolgt die Betriebsratssitzung mit der zusätzlichen Möglichkeit der Teil- nahme mittels Video- und Telefonkonferenz, gilt auch eine Teilnahme vor Ort als erforderlich.“

Diese Klarstellung mag eine innerbetriebliche Argumentationshilfe für den Vorsitz oder das Gremium gegenüber dem kostenbewussten Arbeitgeber sein, doch schon heute kann sich der Betriebsrat gegenüber einem Arbeitgeber, der erforderliche Sachmittel oder Arbeitsbefreiungen verweigert, mittels § 119 BetrVG wirksam durchsetzen (z.B. Straftatbestand der Behinderung von Betriebsratsarbeit). Und wenn nach der neuen Regelung ein Arbeitgeber trotzdem partout keinen Raum für die Präsenzsitzung zur Verfügung stellen, keine Reisekosten tragen und die BR-Mitglieder nicht von der Arbeitsleistung befreien will, bleibt wieder nur der Gang zum Arbeitsgericht.

Nicht wirklich was gewonnen.

  1. Nach § 33 Absatz 1 Satz 1 wird folgender Satz eingefügt:„Betriebsratsmitglieder, die mittels Video- und Telefonkonferenz an der Beschlussfassung teilnehmen, gelten als anwesend.“
  2. Dem § 34 Absatz 1 werden die folgenden Sätze angefügt:„Nimmt ein Betriebsratsmitglied mittels Video- und Telefonkonferenz an der Sitzung teil, so hat es seine Teilnahme gegenüber dem Vorsitzenden in Textform zu bestätigen. Die Bestätigung ist der Niederschrift beizufügen.“
  3. Nach § 51 Absatz 3 Satz 1 wird folgender Satz eingefügt:„Mitglieder des Gesamtbetriebsrats, die mittels Video- und Telefonkonferenz an der Beschlussfassung teilnehmen, gelten als anwesend.“

Erforderliche redaktionelle Anpassungen, damit durch die Eröffnung der virtuellen Sitzung die wirksame Beschlussfassung auf einer solchen rechtlich abgesichert wird.

Keine substantielle Neuerung.

  1. In § 60 Absatz 1 werden die Wörter „und das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben“ gestrichen.
  2. In § 61 Absatz 2 Satz 1 werden nach dem Wort „haben“ die Wörter „oder die zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind“ eingefügt.
  3. § 63 wird wie folgt geändert:
    1. a)  In Absatz 4 Satz 1 wird das Wort „fünfzig“ durch die Angabe „100“ ersetzt.
    2. b)  In Absatz 5 wird die Angabe „51 bis 100“ durch die Angabe „101 bis 200“ ersetzt.
  4. In § 64 Absatz 3 werden nach dem Wort „vollendet“ die Wörter „oder sein Berufsausbildungsverhältnis beendet“ eingefügt.

Diese Neuerung trägt dem Umstand Rechnung, dass es in der heutigen Arbeitswelt vermehrt auch ältere Auszubildende gibt. Ob diese nun eine eigene Vertretung brauchen oder aber mit eben diesen leichter eine JAV wählbar ist, ist eine gute Frage, denn Auszubildende wurden schon immer vom Betriebsrat und mit deutlich stärkeren Rechten ausgestattet vertreten, auch und gerade wenn es gar keine JAV gab oder gibt.

Ob die Ausweitung des „vereinfachten Wahlverfahrens“ auf mittlere Betriebe konsequenterweise auch bei der JAV eine echte Erleichterung und Senkung der Hürden darstellt, ist wie oben gezeigt mehr als fraglich.

12. § 76 Absatz 3 Satz 4 wird wie folgt gefasst:

„Die Beschlüsse der Einigungsstelle sind schriftlich niederzulegen und vom Vorsitzenden zu unterschreiben oder in elektronischer Form niederzulegen und vom Vorsitzenden mit seiner qualifizierten elektronischen Signatur zu versehen sowie Arbeitgeber und Betriebsrat zuzuleiten.“

Ebenfalls eine eher redaktionelle Anpassung an die heutige Zeit mit dem Ziel, die Zuleitung des ESt-Spruchs mittels moderner Kommunikationstechnik rechtlich zu ermöglichen.

Keine substantielle Neuerung.

13. Nach § 77 Absatz 2 Satz 2 wird folgender Satz eingefügt:

„Werden Betriebsvereinbarungen in elektronischer Form geschlossen, haben Arbeitgeber und Betriebsrat abweichend von § 126a Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs dasselbe Dokument elektronisch zu signieren.“

Siehe zuvor.

  1. Nach § 79 wird folgender § 79a eingefügt:„§ 79a Datenschutz Bei der Verarbeitung personenbezogener Daten hat der Betriebsrat die Vorschriften über den Datenschutz einzuhalten. Soweit der Betriebsrat zur Erfüllung der in seiner Zuständigkeit liegenden Aufgaben personenbezogene Daten verarbeitet, ist der Arbeitgeber der für die Verarbeitung Verantwortliche im Sinne der datenschutzrechtlichen Vorschriften. Arbeitgeber und Betriebsrat unterstützen sich gegenseitig bei der Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorschriften.“

Eine Klarstellung, die den Betriebsrat aber nicht von der sonstigen Einhaltung und Umsetzung datenschutzrechtlicher Vorschriften bei sich selbst befreit.

  1. Dem § 80 Absatz 3 werden die folgenden Sätze angefügt:„Muss der Betriebsrat zur Durchführung seiner Aufgaben die Einführung oder Anwendung von Künstlicher Intelligenz beurteilen, gilt insoweit die Hinzuziehung eines Sachverständigen als erforderlich. Gleiches gilt, wenn sich Arbeitgeber und Betriebsrat auf einen ständigen Sachverständigen in Angelegenheiten nach Satz 2 einigen.“

Hier wird nur eines der möglichen Gegenargumente des Arbeitgebers bei der Hinzuziehung von Sachverstand geklärt. Weiterhin müssen sich Betriebsrat und Arbeitgeber über Gegenstand, Umfang und Person vor dem Tätigwerden des Sachverstandes einigen. Gelingt dies, wie in der Praxis häufig vorkommend, mal wieder nicht, bleibt dem Betriebsrat auch mit der neuen Regelung der Gang vors Arbeitsgericht nicht erspart.

Was so schön modern klingt, bringt in der Praxis nicht wirklich viel.

  1. § 87 Absatz 1 wird wie folgt geändert:
    1. a)  In Nummer 13 wird der Punkt am Ende durch ein Semikolon ersetzt.
    2. b)  Folgende Nummer 14 wird angefügt:„14. Ausgestaltung von mobiler Arbeit, die mittels Informations- und Kommunika- tionstechnik erbracht wird.“

Hurra, ein neues erzwingbares Mitbestimmungsrecht!

…welches bereits heute mit den im selben Paragraphen bestehenden Mitbestimmungsrechten nach Nr. 1, 2, 3, 6 und 7 locker und umfassend durch den Betriebsrat behandelt werden kann.

Eigentlich ziemlich überflüssig, spart es die die meisten ArbeitnehmerInnen viel mehr umtreibende Frage eines Anspruches auf Home-Office („Ob“) doch gänzlich aus. Will der Arbeitgeber kein Home-Office, läuft auch das schöne neue Mitbestimmungsrecht ins Leere.

  1. In § 90 Absatz 1 Nummer 3 werden nach dem Wort „Arbeitsabläufen“ die Wörter „einschließlich des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz“ eingefügt.
  2. Nach § 95 Absatz 2 wird folgender Absatz 2a eingefügt:„(2a) Die Absätze 1 und 2 finden auch dann Anwendung, wenn bei der Aufstellung der Richtlinien nach diesen Absätzen Künstliche Intelligenz zum Einsatz kommt.“

Das bisherige Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei Auswahlrichtlinien lässt gänzlich offen, woher der Arbeitgeber seine Vorstellung von Richtlinien bezieht, so dass in jedem Falle das Recht des Betriebsrates auf erzwingbare Mitgestaltung besteht.

Eher gänzlich überflüssig weil redundant.

  1. Nach § 96 Absatz 1 wird folgender Absatz 1a eingefügt:„(1a) Kommt im Rahmen der Beratung nach Absatz 1 eine Einigung über Maßnahmen der Berufsbildung nicht zustande, können der Arbeitgeber oder der Betriebsrat die Einigungsstelle um Vermittlung anrufen. Die Einigungsstelle hat eine Einigung der Parteien zu versuchen.“

Hier wird versucht, dem in diesem Fall für den Betriebsrat maximal zur Verfügung stehenden Beratungsrecht ein stärkeres „Beteiligungsrecht“ zu verleihen. Dabei suggeriert die Verwendung des Begriffes „Einigungsstelle“, dass hier eine Durchsetzungsmöglichkeit bestünde. Dies ist jedoch nicht der Fall, denn die „ESt“ kann hier im Falle der Nichteinigung keinen Spruch fällen.

Die Verwendung des Begriffes „Mediation“ hätte weniger Potential, bei den Beteiligten Verwirrung zu stiften. Faktisch bleibt es aber beim Beratungsrecht, oder „schön, das wir darüber geredet haben“.

An dieser wichtigen, weil die Zukunftsfähigkeit von ArbeitnehmerInnen und Betrieben maßgeblich beeinflussenden Stelle wird auf diese Weise leider nichts gewonnen.

  1. Nach § 103 Absatz 2 wird folgender Absatz 2a eingefügt:„(2a) Absatz 2 gilt entsprechend, wenn im Betrieb kein Betriebsrat besteht.“

Hier wird die Ersetzung der fehlenden Betriebsratszustimmung zur außerordentlichen Kündigung von betrieblichen Mandatsträgern und Wahlbewerbern auch auf den Fall ausgedehnt, dass ein Betriebsrat nicht vorhanden ist. Insbesondere bei der erstmaligen Wahl oder Gründung eines Betriebsrats kann dies eine deutliche Hürde für den Arbeitgeber darstellen, die Gründung zu verhindern. Allerdings setzt dies voraus, dass die Betroffenen diese Vorschrift kennen (unwahrscheinlich) und sich zudem gerichtlich gegen die Kündigung wehren (etwas wahrscheinlicher).

Die Hürde, seinen eigenen Arbeitgeber zu verklagen, wird damit nicht wirklich gesenkt.

  1. In § 112 Absatz 1 Satz 1 wird der Punkt am Ende durch die Wörter „; § 77 Absatz 2 Satz 3 gilt entsprechend.“ ersetzt.

Redaktionelle Anpassung an die Neuerung in § 77.

Artikel 2
Änderung des Kündigungsschutzgesetzes

Das Kündigungsschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. August 1969 (BGBl. I S. 1317), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 14. Oktober 2020 (BGBl. I S. 2112) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

  1. § 15 wird wie folgt geändert:
    1. a)  In Absatz 3a Satz 1 werden die Wörter „die ersten drei in der Einladung oder Antragstellung“ durch die Wörter „die ersten sechs in der Einladung oder die ersten drei in der Antragstellung“ ersetzt.
    2. b)  Nach Absatz 3a wird folgender Absatz 3b eingefügt:„(3b) Die Kündigung eines Arbeitnehmers, der Vorbereitungshandlungen zur Errichtung eines Betriebsrats oder einer Bordvertretung unternimmt und eine öffentlich beglaubigte Erklärung mit dem Inhalt abgegeben hat, dass er die Absicht hat, einen Betriebsrat oder eine Bordvertretung zu errichten, ist unzulässig, soweit sie aus Gründen erfolgt, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, es sein denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen. Der Kündigungsschutz gilt von der Abgabe der Erklärung nach Satz 1 bis zum Zeitpunkt der Einladung zu einer Betriebs-, Wahl- oder Bordversammlung nach § 17 Absatz 3, § 17a Nummer 3 Satz 2, § 115 Absatz 2 Nummer 8 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes, längstens jedoch für drei Monate.“
    3. c)  In den Absätzen 4 und 5 Satz 1 wird jeweils die Angabe „1 bis 3“ durch die Angabe„1 bis 3a“ ersetzt.
  2. In § 16 Satz 1 wird die Angabe „§ 15 Abs. 1 bis 3a“ durch die Wörter „§ 15 Absatz 1 bis 3b“ ersetzt.

Hier nun soll die erstmalige Errichtung eines Betriebsrats im Betrieb durch eine Ausweitung des besonderen Kündigungsschutzes erreicht werden.

Punkt 1. bezieht sich auf den Umstand, dass der Kündigungsschutz für die sogen. Einladende Stelle für maximal 3 einladende ArbeitnehmerInnen gilt. Dieser Schutz ist jedoch 1. zeitlich begrenzt, weshalb in der Praxis die Mitglieder der Einladenden Stelle auch Mitglieder des Wahlvorstandes werden (sollten), wodurch 2. in der Praxis recht häufig Wahlvorstände außer Gefecht gesetzt werden, wenn ein Mitglied ausscheidet und keine Ersatzmitglieder vorhanden sind, denn diese genießen zunächst keinen Kündigungsschutz wie die Erstmitglieder des Wahlvorstands.

Punkt 2. soll nun auch schon die in der Praxis erforderlichen Vorbereitungshandlungen bis zum Schutz für die Einladende Stelle mit Kündigungsschutz versehen. Dieser Schutz entsteht aber nur dann, wenn der oder die Vorbereitende(n) sich quasi noch vor dem ersten, in der Praxis meist vertraulichen Gespräch, öffentlich hinstellen und verkünden, man wolle einen Betriebsrat gründen. Bekommt der Arbeitgeber aber vorher Wind von der Sache und spricht die Kündigung aus, kommt die Erklärung zu spät, um den Kündigungsschutz auszulösen.

Während der erste Punkt ein in der Praxis tatsächlich bestehendes und gravierendes Problem lösen helfen kann, schafft der zweite Punkt eine wahrhaft realitätsferne Lösung. Wer sich mit der Gründung eines Betriebsrats befasst, wird sich selten zuallererst umfassend rechtlich (und damit auch hinsichtlich eines etwaigen Schutzes) beraten lassen, sondern sucht meist zunächst nach Verbündeten. Damit ist der Tatbestand der Vorbereitungshandlung erfüllt, das Risiko einer „undichten Stelle“ besteht, die Falle schnappt zu.

Wer aber weiß, dass er, um Kündigungsschutz genießen zu können, sich quasi als erste Amtshandlung erstmal outen muss, der wird in einer solchen von vielen Fragen und Unsicherheiten geprägten Situation eher den Kopf einziehen und den Impuls zur Betriebsratsgründung lieber anderen überlassen.

Hier wird also eher eine weitere gefühlte Hürde, einen Betriebsrat zu gründen, eingezogen.

Fazit: Der Gesetzentwurf wird seinem Namen nur dort gerecht, wo es um die längst überfällige Anpassung an den technischen Fortschritt bei der Sitzungsdurchführung geht. Diese Änderungen haben aber nichts damit zu tun, das Betriebsratswesen fit für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu machen, indem man den Betriebsräten weitere starke Mitbestimmungsrechte zubilligt, beispielsweise in wirtschaftlichen Angelegenheiten oder bei Weiterbildungs- und Innovationsprogrammen.

Der Versuch, der fortschreitenden Erosion betrieblicher Mitbestimmung durch eine erleichterte Gründung von Betriebsräten entgegenzuwirken, hat sehr praxisferne Regelungen hervorgebracht, die die Hürden eher noch nach oben setzen, denn sie erhöhen die Wissens-Ansprüche an die Beteiligten vor Ort, ohne den Zugang zu diesem Wissen zu erleichtern. Die vom ursprünglichen Ziel gebotene Niederschwelligkeit wird so sicher nicht erreicht.

Beim besonderen Kündigungsschutz lässt der Entwurf das in der heutigen Arbeitswelt größte Problem bei der Gründung von Betriebsräten links liegen: Wer einen der inflationär um sich greifenden befristeten Arbeitsverträge hat, wäre auch weiterhin schlecht beraten, sich für einen Betriebsrat zu engagieren, geschweige denn zu kandidieren, denn das Kündigungsschutzgesetz sieht auch in der neuen Fassung keinerlei Schutz für Befristete vor. In der Praxis gilt der unbefristete Arbeitsvertrag für die Arbeitgeber als Auslaufmodell, insoweit wäre eine Modernisierung des bisherigen Schutzes mehr als überfällig.

Wer den Entwurf zu diesem Gesetz geschrieben hat, hat wohl niemals selbst einen Betriebsrat aus der Taufe gehoben, hat niemals selbst in einem Wahlvorstand gesessen und kennt die z.T. recht intensive soziale Dynamik rund um Betriebsratswahlen und die Wirkungen auf Betriebsräte, Wahlvorstände und KandidatInnen nicht wirklich. Anders sind einige aus Sicht der ArbeitnehmerInnen eher kontraproduktiven Regelungen nicht zu verstehen. Und dies aus einem sozial-demokratische geführten Arbeitsministerium!

Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz könnte man als Wahlkampfgetöse abtun, wenn seine Wirkung langfristig nicht so fatal wäre: Seit den letzten Reformen des Betriebsverfassungsgesetzes ist sehr viel Zeit vergangen (Gesetz: 1972; Reform: 2001). Dies wird vermutlich auch nach diesem Reförmchen der Fall sein, so dass die eigentlich notwendige Modernisierung wohl noch lange auf sich warten lassen wird.

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