Kettenvertragmassaker reloaded? EuGH billigt Mehrfachbefristungen über 11 Jahre

Eigentlich glaubte der Gesetzgeber mit dem Erlass des Teilzeit- und Befristungsgesetzes der üblichen Praxis jahrelanger Anschlussbefristungen, im Volksmund auch Kettenverträge genannt, einen Riegel vorgeschoben zu haben. Zumindest die Handhabung der reinen Zeitbefristungen war Dank der recht eindeutigen gesetzlichen Regelung für alle Beteiligten selten Anlass zum Streit. Ganz anders die Sachgrundbefristung: Hier mussten sich Arbeitgeber, Arbeitnehmer und auch Betriebsrat oftmals sogar vor Gericht darüber streiten, ob ein legitimer Sachgrund vorlag.  

Jetzt hat der EuGH am vergangenen Donnerstag ein Urteil (C-586/10, Pressemitteilung) gefällt, dass bei der oberflächlichen Lektüre der Überschriften in der Presse wohl Arbeitgeber frohlocken und Arbeitnehmer und Betriebsräte aufstöhnen lässt. Der EuGH gab nämlich einer Praxis seinen Segen, bei der eine Arbeitnehmerin innerhalb von 11 Jahren 13 Arbeitsverträge in Reihe mit Sachgrundbefristung erhielt. Das Besondere daran war der Umstand, dass der Sachgrund nicht im vorübergehenden Personalbedarf lag, sondern ein dauerhaft bestehender Vertretungsbedarf für verschiedene Arbeitnehmer bestand. Hier könnte man durchaus zu der Ansicht gelangen, dass diese dauerhaften Vertretungen in der Organisationsform des Springers von einem unbefristeten Arbeitnehmer zu leisten seien.

Der EuGH macht jedoch Auflagen, die die spontane Einschätzung deutlich revidieren lassen:
„Bei der Beurteilung der Frage, ob die Verlängerung eines befristeten Arbeitsvertrags im Einzelfall durch einen sachlichen Grund wie den vorübergehenden Bedarf an Vertretungskräften gerechtfertigt ist, müssen die nationalen Behörden jedoch alle Umstände dieses Einzelfalls einschließlich der Zahl und der Gesamtdauer der in der Vergangenheit mit demselben Arbeitgeber geschlossenen befristeten Verträge berücksichtigen.“

Damit muss nun nicht mehr nur der letzte Arbeitsvertrag bei der Prüfung hinzugezogen werden, sondern alle bisherigen Verträge. Ob dies in der Praxis den Arbeitsvertragsparteien und den Betriebspartnern hilft, bei unterschiedlicher Einschätzung ohne gerichtliche Hilfe auszukommen, erscheint mehr als fraglich.

Arbeitgeber werden weiterhin sorgfältig prüfen müssen, ob ein zulässiger Befristungsgrund vorliegt. Weiterhin besteht für sie das Risiko, dass bei allzu optimistischer eigener Einschätzung der Arbeitnehmer gute Chancen hat, sich einen unbefristeten Arbeitsplatz zu sichern.

Eine Rechtsschutzversicherung für Arbeitsrecht wird auch jetzt noch für befristete Arbeitnehmer sinnvoll sein, wenn sie bei unzulässiger Sachgrundbefristung zu ihrem Recht kommen wollen, denn nach wie vor können die streitigen Fragen nur von einem Arbeitsgericht im Rahmen einer Befristungskontroll- oder Kündigungsschutzklage beantwortet werden.

Eifrige Betriebsräte könnten jetzt auf den Gedanken kommen, sie hätten wieder einen Grund mehr, den Grundsatz der Datensparsamkeit bei ihrer Arbeit außer Acht zu lassen. Im Rahmen des Anhörungsverfahrens nach §99 BetrVG müssen sie auch prüfen, ob gegen ein Gesetz verstoßen wird. Ob bei den jetzt für zulässig erklärten Kettenverträgen gegen das Teilzeit- und Befristungsgesetz ggf. verstoßen wird, lässt sich für den Betriebsrat nur beantworten, wenn er Anhörungsunterlagen von befristet Eingestellten über Jahre aufbewahrt und sich jeweils umfangreiche Notizen über die Umstände eines jeden Befristungseinzelfalles gemacht hat. Allerdings geht die herrschende Meinung davon aus, dass in diesem Fall dem Betriebsrat kein eigenständiges Prüfungsrecht zusteht, die Frage sei individualrechtlich zu klären (siehe Fitting, 25 Aufl., §99, RN 210).

Insofern: Aus dem Westen nichts wirklich Neues.

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