Organisationsentwicklung: Lernen durch Abmahnung?

Abmahnung von Arbeitnehmernvon Mediator und Konfliktberater Vinny Francés

Wie hier bereits früher schon einmal im Zusammenhang mit dem Pfandbon-Urteil des BAG (Fall „Emmely“) ausgeführt, scheint der Umgang mit Abmahnungen sowohl auf Seiten des Arbeitgebers als auch des Arbeitnehmers eher von rechtlich-taktischen Überlegungen geprägt zu sein.  

Dabei gerät die Androhungs- und Warnfunktion dieses Sanktionsmittels ein wenig aus dem Fokus der Beteiligten, so dass sich die Frage stellt, ob mit einer Abmahnung tatsächlich eine Entwicklung zum Besseren ausgelöst wird, zumindest also der Arbeitnehmer dazulernt und sein Verhalten ändert.

Schaut man sich einmal an, wie Abmahnungen in der Realität ausgesprochen werden, kann man schon erhebliche Zweifel daran bekommen, dass dadurch tatsächlich so etwas wie Einsicht oder Verbesserung entsteht. Im einfachsten Fall wird die Abmahnung dem Arbeitnehmer irgendwie zugestellt. Im anderen Fall geschieht dies persönlich durch einen Vorgesetzten und bei dieser Gelegenheit werden ein paar mahnende Worte gesagt. Je nach Hierarchieebene oder auch Schwere des Falles wird der Arbeitnehmer zu einem Gespräch gebeten, bei dem ihm dann meist der unmittelbare Vorgesetzte sowie Personalchef und ggf. Geschäftsführer gegenüber sitzen. Manche Arbeitnehmer versuchen diesem Ungleichgewicht entgegen zu wirken, indem sie ein Betriebsratsmitglied in dieses Gespräch mitnehmen.

Auch wenn sich der Arbeitnehmer bei der letzteren Gesprächsvariante etwas mehr wertgeschätzt fühlen dürfte als in der einfachen, so haben beide Situationen eines gemeinsam: die Kommunikation verläuft nach der Transaktionsanalyse (TA) unbewusst auf der Ebene „Eltern-Ich“ (Arbeitgeberseite) zu „Kind-Ich“ (Arbeitnehmer). Das mächtige, tadelnde und strafende „Eltern-Ich“ wird beim Arbeitnehmer unweigerlich ungute Gefühle auslösen, denn dadurch, dass er von seinem Gegenüber in das „Kind-Ich“ gedrängt wird, erleidet er zumindest einen (nicht nur gefühlten) Gesichtsverlust, wenn nicht gar negativ besetzte Gefühle und Erinnerungen aus der eigenen Kindheit ausgelöst werden.

Je nach Sozialisation im Elternhaus (brav/angepasst, trotzig/kämpferisch oder kooperativ/offen) besteht in der Abmahnungssituation eine 66%ige Chance, dass der Arbeitnehmer in eine Haltung verfällt, die ein entwickelndes verstehendes Lernen sehr erschwert. Neigt er zu brav/angepasst, wird er sich einfach wegducken und erneuten Strafen durch möglichst unauffälliges Verhalten zu entgehen versuchen. Neigt er dagegen zu trotzig/kämpferisch, wird er, wenn er nicht in der Situation selbst den offenen Kampf sucht, mit erheblichem Groll aus der Situation gehen und viel Energie darauf verwenden, sich zu rächen. Die Gefahr, dass Unbeteiligte angesteckt werden, ist bei diesem Typ besonders hoch.

Einzig der kooperativ/offene Typ wird versuchen, die Erwachsenen-Ebene wieder zu erreichen und einen konstruktiven Umgang mit der Problematik anstreben. Dazu wird auch eine Darstellung der Ausgangssituation aus seiner Sicht gehören.

Wenn schon die beiden erstgenannten Typen kaum die notwendige innere Verfassung haben, um zu lernen und sich weiter zu entwickeln (denn im Grunde will der eine nur den Schmerz vermeiden, der andere den eigenen Schmerz durch Schmerz beim anderen neutralisieren), so kommt es beim kooperativen Typ jetzt darauf an, ihn nicht durch Aufrechterhaltung der „Eltern-Ich“ zu „Kind-Ich“- Ebene zu frustrieren.

Dies bedeutet, dass nun arbeitgeberseitig für den Arbeitnehmer sichtbar auf die „Erwachsenen-Ebene“ gewechselt und wertschätzende Kooperation gezeigt werden muss. Was jedoch verlangt, der Sichtweise des Arbeitnehmers mit all ihren Facetten, also auch Kritik und Aufzeigen von Führungsdefiziten, die gleiche Aufmerksamkeit und Lernwilligkeit gegenüber aufzuzeigen, wie es sich der Arbeitgeber von seinem Arbeitnehmer im Zusammenhang mit dem abgemahnten Verhalten wünscht (so zumindest der Grundgedanke einer Abmahnung).

Nun steht aber in der Realität das Konfliktempfinden, gepaart mit dem Empfinden, im Recht zu sein, der Arbeitgeberseite meist im Wege. Oft herrscht auch das Denken vor, durch vermeintliche „Weichheit“ die eigene Position zu schwächen.

Will der Arbeitgeber also einen aus seinen Fehlern lernenden Arbeitnehmer, so wird er sich mit dem Gedanken anfreunden müssen, dass dies am Besten geschieht, wenn er, der Arbeitgeber, selbst in einer solch eindeutigen Situation von seinem Arbeitnehmer lernen will. Es kommt also darauf an, eine gemeinhin (für beide Seiten!) nicht so erfreuliche Situation in etwas Produktives und Nützliches für alle Beteiligten zu verwandeln.

Wie jetzt also wieder zurück auf die kooperative „Erwachsenen-Ebene“ finden? Wie in jedem Konflikt, ist dies aus eigener Kraft kaum möglich. Zu groß sind Verletzungen, Enttäuschungen und Ärger. Oft hindert auch die Sorge, dadurch die eigene Rechtsposition zu schwächen.

Hier kann ein systematisches Konfliktmanagement helfen, welches schon in solchen Situationen die moderierende Unterstützung eines externen Dritten, z.B. eines Mediators in Anspruch nimmt. Dieser kann die Parteien darin unterstützen, über die reine Warnung hinaus aus der problematischen Situation zu lernen und so einerseits (zer-)störende und teure Folgekonflikte und Produktivitätseinbußen zu vermeiden und andererseits die Organisation ganz ohne teure Unternehmensberater durch die eigenen Experten vor Ort selbst zu entwickeln. Vertrauen, Leistungsbereitschaft und Arbeitszufriedenheit werden durch ein solches Vorgehen fast wie von selbst verbessert.

Und was ist mit der Abmahnung? Diese kann und soll durch ein solches Vorgehen nicht verhindert werden, dem Arbeitgeber muss dieses Mittel auch weiterhin bei Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten zur Verfügung stehen. Die ausgesprochene Abmahnung wird also inhaltlich wie formell nicht angetastet, allenfalls wird sie Grundlage einer ggf. über die Ergebnisse des moderierten Gesprächs geschlossenen (Mediations-) Vereinbarung sein. In einer solchen Vereinbarung dokumentieren beide Seiten nicht nur ihren Willen, weiterhin zusammen zu arbeiten, sondern zeigen auch anhand konkreter Ergebnisse, dass sie aus der Sache gelernt und konstruktiv die Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung verringert haben.

Fazit: Mit einer solchen Vorgehensweise gewinnen beide Seiten nicht nur wertvolle Erkenntnisse, sondern tragen schlichtweg dem ursprünglichen Charakter einer Abmahnung Rechnung.

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