Tarifpluralität: Angsthasen unerwünscht

Mit der Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit im vergangenen Jahr (wir berichteten) hatte das BAG ein mittleres Beben bei Arbeitgeberverbänden und den großen Gewerkschaften ausgelöst. BDA und DGB hatten daraufhin eiligst ein gesetzgeberisches Eingreifen gefordert und auch gleich einen Vorschlag formuliert, um ihre bisherige Stellung wiederzuerlangen.

Eilfertig hat Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle Ende Februar entsprechendes Handeln in einem Interview in Aussicht gestellt. Nun erhalten der Minister und die beteiligten Verbände ein schallende Ohrfeige: Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung in Essen (RWI) kommt in seiner vom BMWI in Auftrag gegebenen Studie zu dem Schluss, dass es für blindes Agieren auf „Zuruf starker Interessenverbände“ keinerlei empirische Grundlage gibt.

Die Studie hat keine Belege dafür zutage gefördert, dass durch das BAG-Urteil das bisherige Tarifsystem ins Wanken geraten ist. Weder kam es zur befürchteten Gründungswelle neuer Gewerkschaften, noch reagierten zwischenzeitlich die bestehenden Gewerkschaften mit erhöhter Arbeitskampfaktivität auf das Urteil. Das RWI kam auch bei weiterführenden theoretischen und juristischen Überlegungen nicht zu der Auffassung, dass akute Maßnahmen angeraten sind.

Daher plädiert das RWI für ein konsequent die weitere Entwicklung beobachtendes Abwarten: „Es spricht demnach viel dafür, der Tarifpluralität eine Bewährungschance zu gewähren, selbst wenn sie zu Verschiebungen in den betrieblichen Lohnstrukturenführen würde. Anders sähe die Schlussfolgerung allerdings aus, wenn sich im Zuge einer stärkeren Herausbildung von Tarifpluralität eine derart erhöhte Neigung zu Arbeitskämpfen ergeben würde, dass insgesamt das Funktionieren des deutschen Tarifvertragssystems gefährdet wäre. Dann wäre aus verfassungsrechtlicher Sicht ein Einschreiten des Gesetzgebers nicht nur gerechtfertigt, sondern es wäre in diesem Falle sogar erforderlich. Damit diese Rechtfertigung für ein gestaltendes Eingreifen des Gesetzgebers vorliegt, muss es also in der Folge des BAG-Urteils nicht nur zu einer erheblichen Ausweitung des Phänomens der Tarifpluralität kommen, sondern im Zuge dieser Ausweitung müssten darüber hinaus auch die Arbeitskämpfe und die damit verbundenen Lähmungen des Wirtschaftsgeschehens in einem unerträglichen Maße zunehmen. Es ist keinesfalls einzusehen, warum dieses Negativszenario ohne weitere empirische Belege als gesetzt angenommen und die Grundlage gesetzgeberischen Handelns bilden sollte.“

Es bleibt zu hoffen, dass unser FDP-Wirtschaftsminister, wie von seinem Parteivorsitzenden behauptet, verstanden hat und nicht reflexhaft in die altbekannte Klientelpolitik zurückfällt.

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