Schlag auf Schlag gegen schwammige Arbeitsverträge

Die von Arbeitnehmern gewünschte Flexibilität „unterstützen“ Arbeitgeber gerne mit entsprechend formulierten Arbeitsverträgen. Aus ihrer Sicht ist es schließlich sinnvoll,

  • wenn die Tätigkeit des Arbeitnehmers nicht präzise beschrieben ist, denn dann kann er nach Bedarf auch in anderen Bereichen eingesetzt und mit anderen Tätigkeiten betraut werden,
  • wenn der Arbeitsort auf die Bundesrepublik oder gar Europa ausgedehnt wird, denn dann kann der Arbeitnehmer leichter auch an anderen Standorten eingesetzt werden,
  • wenn Überstunden schon mit dem Entgelt abgegolten sind, denn dann entfallen nicht nur lästige Überstundenzuschläge, sondern der Arbeitnehmer schenkt diese Stunden quasi seinem Arbeitgeber,
  • wenn nur auf Anweisung geleistete Überstunden vergütet werden, denn wenn diese Anweisung nie oder nur selten erfolgt, die Arbeit aber in der vertraglich vereinbarten Wochenarbeitszeit nicht geleistet werden kann und der Druck zu „freiwilligen“ Überstunden groß ist, entfällt auch hier die Vergütung für die geleistete Arbeit,
  • wenn Reisetätigkeiten pauschal schon mit dem Entgelt abgegolten sind, denn dann braucht zusätzliche Reisezeit, die zwar „Untätigkeit“ mit sich bringt, aber zur Arbeitsleistung gehört, nicht zusätzlich vergütet zu werden.

Um Arbeitnehmer vor den Nachteilen von Formulararbeitsverträgen, die die Lasten und Risiken durch schwammige, offene und intransparente Regelungen einseitig auf die Arbeitnehmer verschieben, findet die Kontrolle der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) gem. §305 ff BGB auch bei solchen Arbeitsverträgen Anwendung.

Zwei solcher typischen Fälle hat nun das BAG innerhalb kurzer Zeit zugunsten der Arbeitnehmer entschieden:

Klauseln in Arbeitsverträgen, die die pauschale Abgeltung von Überstunden mit dem vertraglich vereinbarten (Monats-)Arbeitsentgelt vorsehen und den Umfang der möglichen Überstunden offen lassen, sind ebenso unwirksam wie solche Klauseln, die sämtliche Reisetätigkeiten ebenso pauschal abgelten wollen, ohne den Umfang der Reisetätigkeit zu bestimmen und auch keinen Unterschied zwischen Reisen mit und ohne Arbeit zu machen.

In beiden Fällen sind solche Klauseln gem. §307 (1) BGB unbestimmt und intransparent und damit unwirksam.

BAG, Urteil vom 20.4.2011, 5 AZR 200/10 (Leitsätze: Die in Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Arbeitgebers enthaltene Klausel, Reisezeiten seien mit der Bruttomonatsvergütung abgegolten, ist intransparent, wenn sich aus dem Arbeitsvertrag nicht ergibt, welche „Reisetätigkeit“ von ihr in welchem Umfang erfasst werden soll.)

BAG, Urteil vom 21. Juni 2011 – 9 AZR 236/10 (bisher nur Pressemitteilung)

Bedeutung für den Arbeitnehmer:

Enthält der formularmäßige Arbeitsvertrag Klauseln zur pauschalen Abgeltung von Überstunden und Reisezeiten und sind diese wie oben beschrieben nach der AGB-Kontrolle unwirksam, so entsteht für den Arbeitsvertrag in diesen Punkten eine Teilnichtigkeit. Es ist also so zu verfahren, als hätte es diese Klauseln nie gegeben: anfallende Überstunden und bestimmte Formen der Reisezeit müssen vergütet werden.

Unter Berufung auf die entsprechenden Urteile des BAG kann der Arbeitnehmer verlangen, ordnungsgemäß vergütet zu werden. Für die Vergangenheit reicht der rückwirkende Anspruch allerdings nur so weit, wie es die arbeits- bzw. tarifvertragliche Ausschlussfrist zulässt. Sind in der Vergangenheit (nun vergütungspflichtige) Überstunden angefallen, so verringert sich der Anspruch mit jedem Tag, an dem der Anspruch nicht geltend gemacht wurde, um die an dem Tag angefallenen Überstunden, der unmittelbar vor der zurückzurechnenden Frist (meistens 3 bzw. 6 Monate) liegt.

Der Anspruch sollte daher unverzüglich schriftlich in der Form geltend gemacht werden, dass der Arbeitnehmer die Geltendmachung nachweisen kann (z.B. der Arbeitgeber bestätigt auf einer Kopie den Erhalt mit Datum und Unterschrift).

Bedeutung für den Arbeitgeber:

Die gewünschte kostengünstige Flexibilität beim Einsatz von Arbeitnehmern kann jetzt nur noch eingeschränkt realisiert werden. Bei pauschaler Abgeltung mit dem Entgelt sind zumindest die Umfänge von Überstunden und Reisezeiten anzugeben. Allerdings kann die Höhe unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit frei gewählt werden, so dass bei großzügiger Ausschöpfung des Erfahrungsrahmens weiterhin große Flexibilität möglich ist.

Um sich vor unliebsamen Überraschungen aufgrund unwirksamer Klauseln wie oben beschrieben zu schützen, sollte ein Vertragszusatz vereinbart werden, der den Umfang der pauschal abgegoltenen Überstunden und Reisezeiten definiert. Dies kann den Betroffenen mit der damit einhergehenden Klarheit „verkauft“ werden, ohne sich auf die ergangenen BAG-Urteile beziehen zu müssen. Wird gleichzeitig noch der Grundsatz der pauschalen Abgeltung dahingehend abgemildert, dass ab sofort eine Überstunden- bzw. Reisezulage gewährt wird, braucht der Arbeitgeber weiterhin keine zusätzliche Überstundenvergütung zu zahlen und die Arbeitnehmer haben nicht mehr das Gefühl, dem Arbeitgeber ohne Grenze Arbeitsstunden zu schenken.

Bedeutung für den Betriebsrat:

Bei der Beurteilung sind verschiedene Ebenen auseinanderzuhalten: Den individual-rechtlichen Anspruch auf BAG-konforme Vergütung der Überstunden bzw. Reisezeiten kann der Betriebsrat nicht für den Arbeitnehmer geltend machen. Auf der kollektiv-rechtlichen Ebene steht dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nach §87 (1) Nr.10 BetrVG zu, wenn der Arbeitgeber Überstunden oder Reisezeiten gesondert vergütet. Das Mitbestimmungsrecht entstünde hier allerdings erst gar nicht, wenn die Abgeltung mit dem vertraglich vereinbarten Entgelt rechtmäßig erfolgte, z.B. indem eine monatliche Obergrenze für die Überstunden vereinbart bzw. vergütungsfreie wie –pflichtige Reisezeiten sowie deren Umfang klar definiert wurden.

Nicht zuletzt durch das Urteil zu vergütungspflichtigen Reisezeiten (BAG, 20.04.2011 – 5 AZR 200/10) wird noch einmal deutlich, dass der Betriebsrat hinsichtlich seiner Mitbestimmungsrechte zur Arbeitszeit nach §87 (1) Nr. 2,3 BetrVG bei Reisezeiten auch hinsichtlich der Frage, wie diese Zeit verbracht wird, genau hinsehen muss. Ist der Arbeitnehmer in der inhaltlichen Gestaltung nicht frei, hat er sich gar auf Weisung in einer ortsgebundenen Form bereit zu halten, so sind dies Indizien dafür, dass es sich bei der Reisezeit um Arbeitszeit handelt, die der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt.

Hier liegt dann auch eine Möglichkeit, auf Umwegen den KollegInnen zu ersparen, individual-rechtlich die Unwirksamkeit einer entsprechenden Vertragsklausel geltend machen zu müssen: Hat der sich der Betriebsrat im Rahmen seiner Überwachungsaufgabe nach §80 (1) Ziff.1 BetrVG die im Betrieb verwendeten Formulararbeitsverträge vorlegen lassen und hat die rechtliche Überprüfung ergeben, dass diesbezüglich unwirksame Klauseln darin enthalten sind, so kann der Betriebsrat seine Zustimmung zu Überstunden und Reisezeiten davon abhängig machen, dass die unwirksamen Klauseln nicht angewendet und die Arbeitnehmer rechtmäßig entlohnt werden, ggf. auch rückwirkend. Solche „Kopplungsgeschäfte“ werden zwar gern als sachfremd diskreditiert, sind aber nicht zuletzt deswegen zulässig, weil der Betriebsrat seine Ablehnung, anders als z.B. bei Anhörungen zur Einstellung nach §99 BetrVG, nicht gesondert begründen muss. Die Zustimmung gibt es halt nur dann, wenn die Bedingungen des Betriebsrats (hier: korrekte Abgeltung von Überstunden und Reisezeiten) erfüllt sind.

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