Jetzt streiken sie wieder und wir können uns wieder aufregen.

An dieser Stelle hatte ich letztens zum GDL-Streik Stellung bezogen. Insoweit gäbe es zum jetzigen UFO-Streik bei der Lufthansa nichts hinzuzufügen, jedoch verlangen einige Reaktionen in der Öffentlichkeit ein paar Klarstellungen. 

Zunächst erscheint es bemerkenswert, dass das mediale Echo bei Weitem nicht so umfänglich ausfällt, wie beim GDL-Streik. Dieser Punkt ist insofern bedeutsam, als dass sich auch die mediale Meinung zum UFO-Streik deutlich weniger negativ gestaltet. Müssen wir also konstatieren, dass sowohl ein bestimmter Streik als auch das Streiken an sich in Abhängigkeit von der Anzahl der betroffenen Bürger/Journalisten bewertet wird? Um die Diskussion um das Tarifeinheitsgesetz aufzugreifen: Sind wir immer dann, wenn eine relativ kleine Gruppe ihre grundrechtlich verbrieften Rechte wahrnimmt, dazu bereit, über die Einschränkung von Grundrechten nachzudenken, je größer die Gruppe der Genervten ist und wir selbst zu dieser Gruppe gehören?

Ganz allgemein beobachten wir tatsächlich im Arbeitsleben den Trend, diejenigen, welche ihre Rechte wahrnehmen, ob dessen zu diskreditieren, so dass eine entsprechende Stimmung im Betrieb und im Land entsteht. Die Auswirkungen sind z.T. bizarr: Wir erleben junge, gut ausgebildete Betriebsrätinnen, die, wenn wir sie über ihre Rechte und die damit verbundenen Gestaltungsmöglichkeiten informieren, darauf antworten: „Ach nein, wir sind da anders, das wird unser Chef sicher nicht mögen.“ Abgesehen davon, was solche Einwände über die individuelle Konfliktfähigkeit aussagen, vergessen ziemlich viele, dass sie, wenn sich nicht irgendwann einmal jemand dafür eingesetzt hätte, wahrscheinlich gar nicht dort wären, wo sie jetzt sind. Als Stichworte fallen da sofort ein: Frauenwahlrecht, Zugang von Frauen zu Universitäten, freie Berufswahl ohne Zustimmung durch den Ehemann, Wohlstand auch für bisher arme Schichten, der längere Bildungswege mit Abitur und Studium erst ermöglicht. All dies wurde niemandem geschenkt, ist also keine Selbstverständlichkeit. Verantwortungsvoller Umgang mit Errungenschaften, auf die wir meistens sogar stolz sind, sieht anders aus.

Was dieses Klima für Blüten treibt, zeigt im aktuellen Fall des UFO-Streiks die Äußerung einer im Radio interviewten Bürgerin. Ich zitiere sinngemäß: „Die haben doch alle unbefristete Verträge, wozu streiken die denn noch? Denen geht es doch viel besser als anderen, die wie in der Pflege nicht streiken können.“ Wie bitte? Soll dies im Umkehrschluss bedeuten, dass ich als Mitarbeiter in einem Pflegeheim oder im Krankenhaus jede noch so schlechte Arbeitsbedingung hinnehmen muss, weil ich ja angeblich nicht streiken kann, da ansonsten jemand dadurch zu Schaden kommen könnte? Solche bizarren Glaubenssätze („Was soll denn dann mit den armen Kindern passieren?“) haben wir auch im Vorfeld des diesjährigen Kita-Streiks gehört. Dort haben die Mitarbeiter jahrelang solche und ähnliche unbewiesene Killerphrasen gehört und verinnerlicht, bis sie dann endlich den Mut fanden, über den Schatten ihres Berufsethos zu springen. Und, ist dabei etwas wirklich Schlimmes passiert? Eben!

Der Umgang mit der Wahrnehmung von Rechten scheint immer unreflektierter zu werden: Wir lächeln gönnerhaft über die zurückgebliebenen Muslime, die sich über dänische Mohammed-Karikaturen aufregen, und wittern darin einen Anschlag auf unsere Meinungsfreiheit, während wir Dresdner Montagsdemonstranten pauschal als „Pack“ abqualifizieren. Wenn Betriebsräte auf die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes pochen, müssen sie sich von ihren eigenen Kollegen als „Formalisten“ beschimpfen lassen, während sich dieselben Leute wahnsinnig über Radfahrer auf der falschen Seite aufregen können. Wir geben uns ja ach so kinder- und familienfreundlich, aber wehe der Kollege will die vollen 3 Jahre Elternzeit nehmen und hinterher sogar noch in Teilzeit gehen. Der ist dann für alle Zeiten untendurch und gilt als arbeitsscheu, egoistisch und ist letztlich ein Weichei, das die Kollegen hängen lässt.

Dummerweise schießen sich diejenigen, die ihre Rechte lieber nicht wahrnehmen wollen, am Ende wohl selbst ins Knie. Ob nun bei der Lufthansa, der Bahn oder jedem anderen Arbeitgeber: der zu verteilende Kuchen ist nunmal endlich. Und wenn ich mir nicht den aufgrund meiner Rechte zustehenden oder möglichen Anteil nehmen möchte, nimmt ihn halt ein anderer. Aus dessen Sicht bin ich dann nichts anderes als ein nützlicher Idiot. Seine Rechte wahrzunehmen und sich für seine Interessen auf legale Weise einzusetzen ist damit auch eine Frage der Selbstachtung. Wir sollten daher nicht auf Menschen herumhacken, die verantwortungsvoll mit sich und ihrer Lebenssituation umgehen, so lange wir selbst nur klagen und unseren eigenen Hintern nicht hochkriegen. Oder stumm die Zähne zusammenbeißen und aushalten, weil wir nicht den Mut aufbringen, uns selbst zu vertreten. Wer streikt, lebt auf lange Sicht wahrscheinlich viel gesünder!

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